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Manchmal machen Popen ganz gute Arbeitskreise

5. Juni 2020

Das Buch und die gleichnamige Internetplattform „Wege durch den Knast“ soll ein Ratgeber für das (Über-)Leben im Justizvollzug sein. Das in der 3. Auflage erschienene Standardwerk gibt Einblicke in den Gefängnisalltag. Kritiker meinen, die Inhalte seien einseitig und polarisieren gegen die Resozialisierung. Das Wahrnehmen gesetzlich eingeräumter Rechte für Gefangene ist allerdings rechtsaatlich garantiert. Manche Inhaftierte können nicht von den konkreten Rechtshilfen vom Verhalten gegenüber der Justiz und den Erfahrungen ehemaliger Gefangener profitieren. Das Werk wird von Seiten der Justiz und der Vollzugsbehörden kritisch beäugt. In einigen Justizvollzugsanstalten, insbesondere in Bayern, ist das Buch als Sicherheit und Ordnung gefährdend verboten.

Unter dem Stichwort „Seelsorge“ findet man mit der Überschrift „Gottesdienst, Seelsorge und religiöse Arbeitskreise“ die hier angefügten Informationen. Für GefängnisseelsorgerInnen vielleicht ein interessanter Außenblick. Ob wirklich alles so stimmt? Sehen sich GefängnisseelsorgerInnen in ihren Aufgaben im Vollzug treffend beschrieben? Kritik ist sicher angebracht in so manchen schwarz-weiß angehauchten Zuschreibungen. Doch es ist eine notwendige Arbeit, die Menschen hinter den Mauern ernst zu nehmen, ohne die Geschädigten von Straftaten ausblenden zu wollen.

Gottesdienst und Seelsorge

Gottesdienst und Seelsorge sind vom Grundgesetz her auch im Knast besonders geschützt. D.h., dass euch Gespräche mit dem Pfarrer oder der Pfarrerin und Teilnahme am Gottesdienst kaum verweigert werden können. Der absolute Anspruch auf Kontakt mit einem Seelsorger der eigenen Konfession wird in den Strafvollzugsgesetzen garantiert (z. B. §§ 40, 41 StVollzG NRW). Das bedeutet, dass das unüberwachte Gespräch mit dem Pfarrer – in der Regel auch in dessen Dienstzimmer – garantiert ist und durchgesetzt werden kann. Jedes seelsorgerliche Gespräche mit einem Pfarrer steht unter der besonderen Schweigepflicht. Von dieser Schweigepflicht kann er nur von euch selbst entbunden werden. Der Pfarrer ist der Einzige im Vollzug, deren Schweigepflicht absolut ist; d.h., sie darf nicht über den Inhalt eurer Gespräche reden, auch wenn es dabei um Straftaten, Prozessrelevantes oder andere Dinge geht, die der Staat gerne wissen würde. Damit das auch völlig klar ist, schadet es nicht, am Anfang eines Gesprächs mit der SeelsorgerIn nochmal nachzufragen, wie sie das mit der Schweigepflicht hält, und zu betonen, dass dir das wichtig ist. Ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber sicher ist sicher.

 

Das Recht auf Teilnahme am Gottesdienst und an „religiösen Veranstaltungen“ der eigenen Konfession kann dir entzogen werden, „wenn dies aus überwiegenden Gründen der Sicherheit und Ordnung geboten ist“ – also die berüchtigte Gummiformulierung! Immerhin soll der Seelsorger aber vorher gehört werden. Falls sie euch also nicht zum Gottesdienst lassen, beschwert euch beim Pfarrer, damit der hoffentlich Stunk macht. Gut möglich, dass ihr draußen nix mit der Kirche am Hut hattet und auch nicht wisst, warum sich das jetzt im Knast ändern sollte. Kurz gesagt: Auch wenn das so ist, kannst du trotzdem von den Möglichkeiten Gebrauch machen, die die Kirchen im Knast haben.

Denn das Seelsorgegespräch (und auch der Gottesdienst) steht allen Gefangenen offen, du musst dafür weder religiös, christlich oder Kirchenmitglied sein. Es ist auch nicht auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, wie die anderen erzwungenen Gespräche mit der Knasthierarchie. Und es steht unter der absoluten Schweigepflicht. Das ist vielleicht das Wichtigste, denn es kann Situationen geben, in denen du das dringende Bedürfnis hast, mit jemandem zu sprechen, aber vorsichtig sein musst, mit wem du das tust. Ein solches Gespräch kann – gerade in den ersten Wochen oder in Krisenmomenten – guttun; u.a. um Druck abzulassen, sich auszuheulen, volle Aufmerksamkeit zu genießen usw.

Auch der Gottesdienst kann ein Ort zum Innehalten und Nachdenken sein. Stille, Gebet und Gesang helfen dem einem oder der anderen, sich seinen Leuten draußen nahe zu fühlen. Gleichzeitig gibt es beim Gottesdienst genügend Möglichkeiten, mit anderen Gefangenen in Kontakt zu kommen. Neben Gottesdienst und Gesprächsangebot kannst du über den Pfarrer auch an gewisse Erleichterungen des Alltags kommen. Das ist von Pfarrer zu Pfarrerin unterschiedlich und am besten wissen hier die Mitgefangenen Bescheid. Zu den Erleichterungen gehören zum Beispiel Tabak schnorren, in einigen Knästen Sozialfernseher bzw. Radio oder Familiensprecher (d.h. in familiären Notsituationen extra Besuchsmöglichkeiten ohne Bedienstete).

Über die Gefängnisseelsorge werden häufig auch andere Gruppenaktivitäten organisiert. Bei vielen Pfarrern besteht Dialogbereitschaft, um selbstständig Ideen zu entwickeln. Dort kann auch mal in anderer Weise die Scheiße aus dem Knastalltag gemeinsam besprochen und sich darüber ausgetauscht werden. Gesprächskreise und ähnliche Angebote sollen – wie in der Gemeinde draußen – möglichst hierarchiearm sein. Sie können gemeinsam gestaltet und so angeeignet werden. Der Pfarrer hat zwar letztendlich Entscheidungsgewalt, aber gegen eine kontroverse Diskussion kann ja niemand was einwenden. Und du kannst den Pfarrer ruhig herausfordern, sich zu der Knastrealität zu positionieren.

Denn was er da täglich sieht, kann er ja kaum ernsthaft richtig finden. Falls du von den anderen Gefangenen isoliert wirst, im Bunker landest oder von Gruppenaktivitäten ausgeschlossen bist, kann der Pfarrer dich trotzdem besuchen. Das können sie dir und ihr nicht verwehren. Auch wenn du mitbekommst, dass eine andere Gefangene isoliert ist oder in den Bunker verlegt wird, kann es ein solidarischer Zug sein, den Pfarrer darum zu bitten, die Person zu besuchen. So kann die Isolation zumindest etwas durchbrochen werden. Orthodox-christliche Seelsorge, Rabbi und andere Konfessionen sind unterschiedlich vertreten und kommen meistens in Form eines ehrenamtlich geleiteten Kreises oder Gruppe im Knast vor.

Der Gottesdienst

Der Gottesdienst ist für die meisten die Möglichkeit, sich einmal in der Woche zu sehen, Neuigkeiten auszutauschen, auch Hefte und weiß der Geier was, oder einfach ein bisschen aus der Zelle rauszukommen, mal was anderes sehen. Und manche wollen auch einen „ordentlichen“ Gottesdienst haben, möglichst feierlich, mit Blumen, Orgel und Stimmung. Der Pope will irgendwas erzählen und vorlesen, wozu er Ruhe braucht.

Ein Vorschlag, den man ihm machen kann: Wir teilen uns den Gottesdienst – vorher und hinterher wollen wir ein Viertelstündchen zum Quatschen haben, und dazwischen sollst du deinen Rummel abziehen. Aber: Erzähl uns bitte nicht zu viel von Jesus und vom lieben Gott, verkauf uns nicht für dumm! Und lass es dir gefallen, wenn wir uns in deine Predigt einschalten, wenn uns was nicht passt. Du hast hier keine sanften Kirchenlämmer vor dir, schon gar keine reuigen Sünder, die nur darauf warten, von dir bekehrt zu werden, sondern Leute mit ziemlichen Problemen – und unser Problem Nr. 1 hier ist der Knast. Wie ist das mit den Beruhigungszellen? Und was sagt die Kirche zum Kontaktsperregesetz? Und warum darf die X nicht zum Gottesdienst kommen? Warum ist am Mittwoch die Freizeit ausgefallen?

Musst du diese Fragen mit deinen frommen Sprüchen zudecken? Dann bist du nicht der richtige Pfarrer für uns. Sagt die Bibel was über RichterInnen, StaatsanwältInnen und Knäste? Rück mal raus damit, das hast du doch studiert! Hat der Apostel Paulus nicht auch im Knast gesessen? Und war das mit Jesus nicht Justizmord? So dick muss man das natürlich nicht gleich bringen. Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, mit ihm gemeinsam den Gottesdienst zu planen. Dann können die Interessen der Gefangenen noch viel besser einbezogen werden. Und in der Gestaltung des Gottesdienstes ist der Pfarrer ziemlich frei. Da darf ihm kein Justizministerium Vorschriften machen. Höchstens die Kirche kann ihn zurückpfeifen. Das wird sie aber meist von sich aus nicht tun.

Religiöse Arbeitskreise

Manchmal machen die Popen auch ganz gute Arbeitskreise, wo nicht nur rumgelabert und ab und zu Kaffee und Kuchen ausgeteilt wird, sondern wo ganz gute Diskussionen laufen, Leute von draußen eingeladen werden usw. Das kann manchmal ein Stück Hilfe zum Überleben sein. Ist es in so einem Arbeitskreis zu doof, dann kann man immer noch den Versuch machen, da was zu ändern, vielleicht lässt sich der Pope drauf ein, z.B. könnte man einzelne Abschnitte aus dem Ratgeber in so einem Arbeitskreis wunderbar diskutieren, Erfahrungen, die man in der Selbstdiagnose gemacht hat, juristische Probleme usw. Ob einem der Pfarrer als Gesprächspartner liegt, ist natürlich Geschmacksfrage, es kommt auch auf den Typ an. In der Regel ist es wichtiger, unter den Mitgefangenen Leute zu finden, mit denen man reden kann.

Allerdings: Der Pfarrer steht unter Schweigepflicht. Das ist manchmal nicht unwichtig. Dann gibt es noch die Möglichkeit, über den Pfarrer Kontakt zu FreundInnen, Angehörigen usw. aufzunehmen. Nur: Eine kaputte Ehe kann er auch nicht kitten. In jedem Fall: So groß ist die Auswahl nicht. Es lohnt sich schon, sich den Pfarrer mal anzusehen, ob er einem liegt. Wenn man merkt, dass er außer frommen Sprüchen nichts draufhat, dann hat man halt Pech gehabt. Außerdem: Es gibt ja meistens zwei von der Sorte, einen evangelischen und einen katholischen. Wechselt man eben schnell mal die Konfession.

Die BeamtInnen haben kein Recht, dich auf irgendeine Konfession festzunageln. Falls du die letzte Woche den evangelischen Gottesdienst besucht hast und jetzt Antrag auf katholischen Gottesdienst gestellt hast, kannst du immer bei Anfrage sagen: „Ich habe meine Bedenken und ich möchte mich informieren!“ Das gilt für orthodoxe ChristInnen, Juden, und Muslime usw.

 

Imam  – Muslimische Seelsorge

Falls du Muslima bist, solltest du dich vielleicht aus den oben genannten Gründen erkundigen, wie man in Kontakt mit einem muslimischen Seelsorger kommt. In den letzten Jahren wird die Figur des Imams in den Knästen immer präsenter. Und inzwischen gibt es in größeren Knästen öfter auch fest installierte muslimische Seelsorge. Wobei viele Imame offen für Diskussionen auch mit Nichtmuslimen sind. Imame können dir unter Umständen wie die VertreterInnen der anderen Religionen in deiner Angelegenheit helfen – auch wenn du nicht Muslima bist. Prinzipiell stehen sie auch unter der Schweigepflicht, aber es schadet nicht, das am Anfang des Gesprächs nochmal zu thematisieren, damit auch klar ist, dass dir die Schweigepflicht wichtig ist.¹


¹ Anmerkung der Redaktion: Der muslimische Betreuer hat aufgrund seiner Stellung (noch) nicht das umfassende Schweigepflicht in strafrechlichen Angelegenheiten und das Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht wie christliche SeelsorgerInnen, die im Sinne des Gesetzes „Geistliche“ sind.

Quelle: Wege durch den Knast  3. Auflage 2019

 

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