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Warum ein Schlüssel im Justizvollzug ein sozialer Akteur ist

12. Oktober 2022

GefängnisseelsorgerInnen arbeiten hinter Gittern. Sie kennen sich aus an Orten der Ohnmacht. Und Orte der Ohnmacht sind zugleich Orte der Macht. Die einen dort müssen an den Orten bleiben, die anderen haben freien Zugang. Es ist Ihr Alltag im Beruf. Sie leben nicht hinter Gittern, was sie von denen unterscheidet, die im Justizsystem „einsitzen“. Es sind Orte der Macht. Sie sind allgegenwärtig, weil Macht nicht einfach zwingend ist, auch wenn das im Justizsystem so scheint.

Nehmen Sie jene, die im Justizvollzug die Macht haben in dn Blick. Sie lassen sich auf diese Orte ein, weil sie davon einen Vorteil haben. Sie unterwerfen sich, um aufzusteigen. Das bieten Orte der Macht an. Und sehr oft kann man den Aufstieg, Vorteil, Weiterkommen daran erkennen, dass an solchen Orten andere absteigen, einen Nachteil haben, zurückbleiben, also Ohnmacht erfahren. Beispiele sind an den Börsen, Schlachtfelder, Wahlurnen, Stadien, Flughäfen, Altarräume oder Priesterseminare…

Distinktionsgewinn und Verlust für die anderen

Auf jeden Fall gilt für: GefängnisseelsorgerInnen haben Schlüssel oder wissen, Schlüssel für sich zu aktivieren, die sie herauslassen von hinter den Gittern her. Sie haben also die Macht auf Ihrer Seite und in bestimmten Lagen sind sie sogar eine Macht. Die Schlüsselfrage dabei ist der „Schlüssel und wir“. Beides finde ich ausgesprochen sprechend und zugleich ziemlich entlarvend. Ich beginne mit dem, was sprechend ist. Und komme dann auf das zurück, was entlarvend ist. Anders herum wäre es unverschämt, in dieser Reihenfolge ist es nüchtern. Ich mute Ihnen also neben der Aufklärung, warum das Thema so sprechend ist und zwar nicht nur für das Justizsystem, sondern darüberhinaus, eine Abklärung zu, warum diese Aufklärung das Problem, das Sie mit Ihrem Thema und seinem Blickwinkel andeuten, nicht wirklich lösen kann. Aber es bringt uns in die Nähe der Lösung.

Besuch von Gefangenen eine Form von Teilhabe

GefängnisseelsorgerInnen arbeiten im Justizsystem und haben zugleich eine Sonderstellung, nicht wirklich dazu zu gehören. Sie sind SeelsorgerInnen und gehören damit zum Kirchensystem, das jenseits von Schuldvorwurf, Nachweis der Schuld und evtl. Bestrafung mit Gefängnis auch der Perikope in Mattäus 25 verpflichtet ist, dass, wer Gefangene nicht besucht, den Herrn, also Christus, missachtet. Es gibt für jeden Menschen ein Jenseits der Schuld und des gesellschaftlichen Ausschlusses. Das ist nicht einfach idealistisch, sondern realistisch. Schließlich kennen wir mehr als ein Justizsystem, das zwar mit Recht arbeitet, aber auch mit Ungerechtigkeit geschlagen ist. Auch demokratische Verhältnisse können das nicht ausschließen, wie die lange Liste der Fehlurteile belegt. Dabei kann es auch um Leben und Tod gehen. Darum ist der Besuch von Gefangenen eine Form von Teilhabe an Trauer und Angst von Menschen, die sich aufgrund ihres Einschlusses nicht nur gedemütigt, sondern auch gefährdet erleben auf Leben und Tod hin.

Kirche als übernatürlichen Staat?

Zugleich ist der kirchliche Anteil am Justizsystem, vor allem wenn es um Kapitaldelikte geht, notorisch problematisch. Er betrifft die Ekklesiologie, die in der katholischen Kirche einen übernatürlichen Staat gesehen hat – societas perfecta. Sie war niemals auf der Seite der Insassen eines Gefängnisses, sondern immer auf Seiten des Staates. In Frankreich wurden so zum Tode verurteilte Menschen vor der Französischen Revolution, also als der Katholizismus in Gestalt des Gallikanismus Staatsdoktrin war, dann, wenn sie aufgrund schwerster Verbrechen wie Attentate auf den König oder Tötung von Familienangehörigen, wenn sie vom hugenottischen zum katholischen Glauben überwechseln wollten, verurteilt wurden, auf das Rad geflochten zu werden, also zum Vierteilen durch massive Gewalt und zu dem damals schrecklichsten Tod, vor der Hinrichtungsstätte auf die Stufen der lokalen Hauptkirche geführt. Bekannten sie dort ihre Sünden und ihr Bedürfnis nach katholischer Erlösung, wurden sie dann bei der Hinrichtung erdrosselt, so dass nur noch eine Leiche von den Pferden auseinandergerissen wurde. Taten sie es nicht, wurde die Hinrichtung wie vorgesehen durchgeführt.

Zwischen drinnen und draußen

Ebenso ist es ein notorischer Tatbestand aus der Geschichte, dass die letzten, die nach Aufklärung und Revolutionen das Folterverbot akzeptierten, die Kirchen war. Gott galt als jemand, der nicht nur nicht Foltern verbot, sondern verlangte aufgrund seiner Allmacht, die mit der Übermacht des Staates, der Gott gefällig ist, übernatürlich verbunden war, das Foltern, Töten und Entmenschlichen aufgrund notorischer Verstocktheit. Diese Dinge sind gottlob vorbei, wenigstens in unseren Gesellschaften. Sie arbeiten deshalb nicht nur als SeelsorgerInnen für die verurteilten Insassen eines Gefängnisses, sondern zugleich auch daran, dass die katholische Religionsgemeinschaft nicht wieder verrückt spielt. Sie arbeiten an einem theologischen Ort, einem locus theologicus, der auch für Ihre Kirche prekär ist und deren Sünden entlarvt. Sie sitzen also zwischen Drinnen und Draußen.

GefängnisseelsorgerInnen als kleine „Petrusse“

Damit Sie diesen prekären Zwischenraum bewältigen können, haben GefängnisseelsorgerInnen Schlüsselfähigkeit. Sie können als die Schlüsselgewalt ihres Arbeitsortes zu Ihrem Nutzen abrufen. Sie sind so etwas wie kleine Petrusse. Das, was Petrus und seine Nachfolger bloß für die Kirche haben, also der Entscheid, wann gelöst wird und wann es ungelöst bleibt, wann verschlossen bleibt und wann aufgeschlossen wird, haben Sie für das Gefängnis, einen Ort jenseits der Kirche. Das gilt zudem Ihnen selbst und nicht für die Ihnen anvertrauten Personen. Der Petrus kann das bloß für andere. Und wir fürchten den Tag in der Universitätstheologie, wenn herauskommt, dass ein Papst ein notorischer Vertuscher sexuellen Missbrauchs ist, also das, was Benedikt XVI. betrifft, sich als ein allgemeines Papstproblem erweisen sollte. Ob dieser Petrus-Nachfolger dann seine Schlüsselgewalt nutzen wird, um sich von Schuld und Buße freizuschließen? Wir werden sehen und hoffen das Beste, aber sollten nicht unrealistisch sein.

„Dû bist mîn,
ich bin dîn:
des solt dû gewis sîn,
dû bist beslozzen
in mînem herzen;
verlorn ist das sluzzelîn:
du muost immer drinne sîn.“

Dualität von Macht und Ohnmacht

Ihr Ort zwischen drinnen und draußen ist ein locus theologicus alienus, also befremdlich für die Kirche aufgrund des Fluches der kirchlich bösen Taten, aber auch befremdlich für das Justizsystem, das Sie nur bedingt kontrollieren kann. Es kann nur verhindern, dass Sie andere rauslassen, aber es kann Sie nicht einschließen, auch wenn Ihre Arbeit prekär und befremdlich für den Staat wird. Das sind beste Voraussetzungen für pastorale Arbeit. Sie sitzt immer in Zwischenräumen und sie wird zumeistens stets irgendwo und irgendwie prekär. Macht, die Ohnmacht gegenübersteht, also das „und“ in „Macht und Ohnmacht“ und die Lokalisierung im Justizsystem, das dem Schlüssel eine besondere Bedeutung gibt. Es ist eine Dualität, also auf der einen Seite Macht und auf der anderen Ohnmacht. Sie sagen nicht, Ohnmacht in der Macht – was für das Justizsystem so ist, wenn es Sie skeptisch betrachtet. Sie sind nicht so leicht zu disziplinieren über Selbstverständlichkeiten hinaus. Und Sie sagen nicht Macht in der Ohnmacht – was für Ihre transpetrinische Schlüsselgewalt ja gilt. Bei aller Ohnmacht, wo Sie arbeiten, haben Sie Macht – die Macht des Schlüssels. Aber der trauen Sie offenbar nicht so richtig und das ist auch sehr gut nachvollziehbar.

Wer einen Schlüssel hat, wo andere keinen haben, oder Aufschließen lassen kann, was andere nicht verhindern können, lässt sich auf eine soziale Interaktion ein, die nicht einfach bei den beteiligten Personen stehen bleibt. Sie betrifft den Schlüssel. Er ist nicht einfach ein technisches Instrument, um Türen oder sonst etwas auf- oder abzuschließen. Und er ist mehr als nur eine Metapher für Schließfunktionen jenseits von Türen etc. Er ist selbst ein Akteur. Wer einen Schlüssel hat, wird von ihm ständig angegangen: aufschließen oder abschließen. Oder: bloß nicht verlieren! Und die Panikattacke, wenn man den Schlüssel für die eigene Wohnung, das eigene Fahrrad oder Auto, das Zimmer im Bildungshaus, sucht und nicht findet! Ich bekomme das jedesmal einen Adrenalinschub. Der geht auch anders. Vom mittelalterlichen Minnesang gibt es ein Gedicht, das den Schlüssel nutzt.

Sozialer Akteur „Schlüssel“

Wir kennen den Autor, die Autorin der Zeilen nicht, verwenden sie aber bis heute in Liebesverhältnissen. Da haben GefängnisseelsorgerInnen buchstäblich den sozialen Akteur Schlüssel. Wenn Sie sich in das Herz einer anderen Person verloren haben, und der Schlüssel ist verloren, na dann kommt Freude auf. An die hat sich noch nicht einmal das Johannesevangelium gewagt, das ja in seinen ego-eimi-Sätzen Jesus mit der Tür identifiziert, aber nicht mit dem Schlüssel. Der sagt nirgendwo: „Ich bin der Schlüssel.“ Er sagt nur, ich bin die Tür. Sie mit Ihrer Schlüsselgewalt sind jetzt jene, die diese Tür aufschließen oder abschließen. Und das ist in manchen Fällen keine einfache Entscheidung. Jesus selbst ist zwar vieles, was im Justizsystem wichtig ist: Richter, Ankläger, Freisprecher, Verurteilen zur Linken oder zur Recht, dabei selbst ein Verbrecher, der Weg und die Tür. Aber Schlüssel ist er nicht. Oder haben Sie eine Bibelstelle dafür? Und Sie wollen in der Nachfolge Jesu den Schlüssel haben? Das petrinische Moment Ihres Berufes können Sie nicht so leicht jesuanisch machen. Ich könnte auch sagen: jesuanisch rechtfertigen. Jesus hilft Ihnen auf jeden Fall nicht beim sozialen Akteur Schlüssel, der in Ihre Alltagwelt eingreift und sie mit prägt. Sie tun gut daran, sich mit dem Schlüssel zu arrangieren, dessen Macht Sie in Ihrer Ohnmacht nicht toppen können. Also sehen Sie sich vor, wenn Sie das nächste Mal einen Schlüssel in der Hand haben. Ohne ihn können Sie nicht sein, was Sie sind, aber mit ihm können Sie nicht bleiben, was Sie sind oder gerne wären. Der Schlüssel ist ein sozialer Akteur. Er markiert gesellschaftliche Verhältnisse und er gestaltet sie.

Entweder oder?

Diese Einsicht stammt leider nicht von mir, sondern von Bruno Latour. Er ist Mitte Oktober 2022 im Alter von 75 Jahren in Paris verstorben. Von ihm gibt es einen berühmten Essay über den Berliner Schlüssel „The Berlin Key, or How to Do Words with things“. Wenn wir uns den ansehen, kommen wir Ihrem Thema mit der Macht und der Ohnmacht noch einmal anders auf die Spur. Berliner Schlüssel, Bruno Latour: Entweder schließt er die Haustür zu, ohne sie nach draußen aufschließen zu können und zwar Nachts, oder er schließt die Haustür auf, ohne sie von draußen her abschließen zu können und zwar Tags. Abschließen oder aufschließen – tertium non datur. Latour: „How to do words with things.” Das ist Ihr Fokus “Der Schlüssel und ich.“ Ihr Fokus anerkennt, dass ein Ding, der Schlüssel, mit Ihnen etwas macht, das sich in Worte fassen lässt. Ihre Schlüssel am Arbeitsort sind soziale Interaktionen, denen Sie nicht ausweichen können. Ihr Schlüssel markiert eine elementare Struktur Ihrer Arbeit – kommen Sie mit ihm nicht zurecht, wird es schwierig. Und kommen Sie mit ihm zurecht, müssen Sie immer mit Überraschungen rechnen.

Der Schlüssel ist ein sozialer Akteur, mit dem Sie immer rechnen müssen, wenn Sie sich im Justizsystem, aber auch im Kirchensystem bewegen. Wir sind gewohnt: „How to do things with words.” J.L Austin – Sprechakttheorie, das Performative Moment. Zu sagen, Sie sind alle kleine Petrusse ist solch ein Sprechakt, vor allem wenn Jesus kein Schlüssel ist. Typisch für moderne Verhältnisse: entweder das eine oder das andere. „Bifurcation“ (Whitehead und Latour) Darum ist das Justizsystem auch so wichtig und zwar weit über seinen eigentlichen Zweck hinaus, Verbrecher:innen wieder gesellschaftsfähig zu machen oder zum Schutz der Allgemeinheit wegzusperren. Entweder Macht oder Ohnmacht. Warum das Justizsystem signifikant für die moderne Gesellschaft ist Entweder mächtig oder ohnmächtig: da muss man sich entscheiden.

Binärer Code: normal – anormal

Wo kommt das her? Humanisierung von Gesellschaft und Kultur verläuft über Normalität und über Normalisierung Individualisierung verstärkt das: Um Individuum zu werden, muss man sich normal verhalten. Weil Individuen = respektierte Mitglieder einer Gesellschaft Disziplinierung ist der beste Weg zur Normalität Nicht zuletzt: Disziplinierung des Körpers. Alles das ist im Justizsystem vorhanden. Eingeschlossen – freigelassen. Verurteilt – unschuldig. Binärer Code = in Zelle sitzend – Freigang. Die Zelle kommt vom Mönchswesen. Es ist einer der besten Orte für Disziplinierung. Ein enger Raum, der gut zu überwachen ist. Disziplinierungen benötigen Orte und Räume, sonst klappt das nicht. Jeder Disziplinarort ist signifikant für das, wie moderne Gesellschaft funktioniert. Im Gefängnis sieht man das am besten: Überwachen und strafen (Michel Foucault).

Die Pastoral-Macht

Die Pastoralmacht und moderner Staat: omnes et singulatim. Jenseits von Ohnmacht und Macht. Warum die Bibel ausgerechnet von Verbrechern das Heil erwartet. Erlösung – mit entweder-oder zu erreichen? Zunehmend skeptisch gegenüber Augustinismus, obwohl er die Moderne mit ausgelöst hat: zentraler Code zu: wer gehört dazu oder wer ist ausgeschlossen = dazu gehört, wer gerechtfertigt wird, und nicht der, der daran scheitert, über seine Abgründe hinwegzukommen und auf die sichere Seite zu kommen. Wer Gutes tut, tut zumindest nichts Falsches. Wer Böses tut, hat keine Chance, es sei denn er schwört dem Bösen ab. Aber: elementarer Code der Erlösung geht anders: Wer von elementarer Bedeutung ist in der Heilsgeschichte, hat zumindest eine dunkle Seite, ist aber meistens sogar ein/e VerbrecherIn.

Justizsysteme folgen einer binären Codierung

Und von den Apokalyptischen Reiter und ihren Untaten reden wir jetzt gar nicht. Aber sind das überhaupt VerbrecherInnen? Natürlich nicht. Das sind Held:innen, Heroen. Es ist eine Frage des Diskurses, nicht mehr, nicht weniger, ob jemand Verbrecher:in oder HeldIn ist. Diskurse sind nicht einfach das, was gesagt wird, sondern das, was einer bestimmten Ordnung folgt, wenn etwas gesagt wird. Justizsysteme folgen einer binären Codierung = das ist ihre starre Ordnung = reduziert Komplexität. Deshalb kommt es aber in allen diesen Systemen vor, dass tatsächlich Unschuldige im Gefängnis sitzen. Das schließt Todeszellen ein, wie wir aus den USA wissen, aus China vermuten und von Russland brauchen wir gar nicht zu reden. In der Geschichte unserer eigenen Nation hatten wir ein Justizsystem, das Unrecht als Recht bezeichnete, „Schuldig!“ über Unschuldige aussprach, und Ungerechtigkeit für Gerechtigkeit ausgab. Deshalb gibt es ja überhaupt so etwas wie Gefängnisseelsorge, dass eine Außenstimme dort etwas zu sagen hat.

Das Heilssystem folgt aber keiner binären Codierung, sondern eine komplexere Ordnung: Es gibt jeweils ein Drittes. Man muss also Komplexität steigern, um es zu erfassen und einzubringen = binäre Codierungen überschreiten. Der Mörder Mose nutzt seine kriminelle Energie, um die Israeliten zu befreien – mit Gott im Rücken und dem Gelobten Land vor Augen. Natürlich lässt er nicht so ganz von der Macht. Dafür darf er nicht ins Gelobte Land – er würde zum Pharao dort.  Der Gekreuzigte ist tatsächlich eine tödliche Gefahr für den Pakt aus Religionseliten und Römischen Reich. Er weicht seiner Zuschreibung als Gottesleugner und Staatsterrorist nicht aus, sondern gibt ein Opfer – sacrifice -, um mit der Ohnmacht eine andere Form von Ermächtigung aufzubauen, die Ermächtigung des Heils.

Alle haben gesündigt – ohne Ausnahme

Jenseits des binären schuldig-unschuldig setzt die christliche Erlösung überhaupt erst an. Paulus, der Religionsverbrecher, ist darauf gestoßen: Alle haben gesündigt, ohne Ausnahme. Es ist also nicht so, dass das Heil von den Guten kommt, von den Normalen, die für Güte stehen und sich um Gutheit bemühen. Alles das ist nicht falsch, sich um Gutes zu bemühen. Aber das Heil kommt nicht auf diese Weise. Es kommt über die Bösen, also auf den Wegen derer, die es bedürfen, aber nicht in der Hand haben. Das Heil kommt, weil Menschen es nötig haben, nicht weil wir es erschaffen könnten. Der Grund ist komplex: Weil es keine Guten gibt, sondern nur Menschen, die vom Bösen geschlagen sind und nicht selbst dort hinausfinden. „Denn es gibt keinen Unterschied: Alle haben ja gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren.“ (Röm 3,22f) Es gibt deshalb keine Guten, weil alle sich rechtfertigen wollen und es auch müssen. Vor allem moderne Menschen sind genötigt, sich ständig für das zu rechtfertigen, was sie tun. Schließlich gibt es immer und überall Möglichkeiten, es noch besser zu machen. Ständig suchen wir nach dem besten Weg – und finden ihn doch nur für kurze Zeit.

Der springende Punkt ist die Herrlichkeit Gottes. Sie besteht darin, sich nicht rechtfertigen zu müssen. Gott ist eine Größe, die sich nicht für sich selbst rechtfertigen muss. Er ist schlichtweg da, ohne dass er das weiter vertiefen muss. Diese Herrlichkeit Gottes haben, so Paulus, alle verloren – ohne Ausnahme. Wir müssen uns ständig unsere Existenz begründen. Und das misslingt immer. Diese Herrlichkeit Gottes hat bei Paulus einen realen Ort: den Glauben. Er ist keine Leistung der Gläubigen, sondern die Rechtfertigung, die sie erfahren. Wir glauben nicht, weil wir es können. Wir glauben, weil wir gerechtfertigt sind, und deshalb ist der Glaube, den wir haben, die Erneuerung, das Anders-Machen der eigenen Existenz. Paulus weiß, wovon er da redet. Er hat es schließlich selbst erfahren. In der jesuanischen Theologie wird als Kriterium für diesen Ort ein Raum eingeführt: das Reich Gottes.

Diesseits von Ohnmacht und Macht

Wer Binarität von Macht und Ohnmacht auf ein Drittes hin überschreiten will, kann das ziemlich leicht tun: mit dem Ort, an dem es stattfindet. Er ist stets da und ein eigener sozialer Akteur. Hier ist Ihre Schlüsselkompetenz gefordert = diesen Ort aufschließen. Das heißt nicht, das Gefängnis aufschließen, aber die soziale Interaktion anders aufschließen als jene, die ständig nötigt, zwischen Ohnmacht und Macht zu entscheiden. Im Gefängnis gibt es keine guten Menschen – nur Menschen, die zum Guten streben können (ohne es jemals wirklich zu erreichen). Von daher sind im Gefängnis im Grunde alle gleich – der Rechtfertigung bedürftig. Daher ist der binäre Code: Du bist unschuldig oder Du bist schuldig, einfach unterkomplex. Diese Position verändert einen Ort, der mit binären Codes die Normalen von den A-Normalen trennen will. Im Justizsystem geht das auch gut, weil es nicht nur da ist, sondern zugleich von Nicht-Orten geprägt ist. Es ist utopisch.

Warum ausgeschlossen werden kann, wer den Schlüssel hat

Einen Schlüssel zu haben, bedeutet stets, sich der Ordnung des Diskurses zu unterwerfen, dessen Sozialgestalt diesen Gegenstand hervorgebracht hat. Haben Sie einen Schlüssel, haben Sie Macht. Und erfahren Ohnmacht. Sie müssen die Ordnung bewahren, die durch den Schlüssel sich zumutet. Aber: Wer den Schlüssel hat, kann ihn nutzen, um über die binäre Ordnung hinauszukommen: den Ort gestalten, zu dem er sperrt. Wer das tut, wird aber zugleich aus dem System ausgesperrt, das auf die Macht der Binarität angewiesen ist. Binäre Ordnungen sind meisten utopisch, also ein spezieller Ort Justizsystem ist utopisch. Die Arbeit aber steht für eine Ordnung der Dinge, die diese Ordnung der Macht anders macht. In der Utopie schließen man eine Heterotopie auf (vgl. Römer 3).

Hans-Joachim Sander, Salzburg

 

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