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Wahrheit oder Lüge? Anwältin in Sexualdelikten

6. Januar 2020

Der Angeklagte Momo (Lefaza Jovete Klinsmann) ist demoralisiert. Die Anwältin Annabelle (Natalia Wörner) sitzt mit ihm auf dem Flur im Gericht. Foto: ZDF | Conny Klein.

Annabelle Martinelli, erfolgreiche Anwältin der renommierten Berliner Anwaltskanzlei Quante & Ackermann, ist spezialisiert auf Sexualstrafrecht. Sie ist äußerst beliebt bei männlichen Klienten, denn mit einer Frau als Verteidigung vor Gericht versprechen sie sich erhebliche psychologische Vorteile. Ein Fernsehfilm des ZDF mit Tiefgang.

Der höchst erfolgreiche Gangster-Rapper Momo, mehrfach vorbestraft wegen Drogen, Waffenbesitz und Körperverletzung, wird beschuldigt, seine Freundin Donna brutal vergewaltigt zu haben. Er bestreitet das und behauptet, Donna wolle sich nur an ihm rächen, da er sie rausgeschmissen habe. Kanzlei-Chef John Quante erwartet von Annabelle, dass sie Momo erfolgreich verteidigt und diesen medienwirksamen Fall gewinnt. Sie geht davon aus, dass ihr das gelingen wird, ein Routinejob für sie. 

Da kommt John Quante mit einem weiteren brisanten Auftrag auf Annabelle zu. Es ist ein Fall, der noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen ist: Mike Petry, CEO eines börsennotierten Unternehmens und scheinbar glücklicher Familienvater, soll seine Assistentin auf einer Dienstreise vergewaltigt haben. Annabelle wird beauftragt, unbedingt ein Verfahren zu verhindern und einen Vergleich herbeizuführen. Aber dieses Mal will sie den Fall nicht übernehmen, denn besagte Assistentin ist ihre Freundin Mirella Hayek. Quante will davon nichts hören: Annabelle solle ihren Job als Anwältin machen und ihre Freundin davon überzeugen, einem Vergleich zuzustimmen. 

Annabelle Martinelli beginnt zu zweifeln. Wem soll sie glauben? Sie gerät zusehends in Konflikt mit der Haltung ihrer Chefs Quante und Ackermann. Plötzlich interessieren Annabelle nicht mehr nur die gesetzlichen Möglichkeiten, sondern die Fakten. Sagt ihre Freundin tatsächlich die ganze Wahrheit? Was ist wirklich passiert zwischen Petry und Mirella? Und wie ist es bei Momo und Donna?

Annabelle (Natalia Wörner) steht vor einem gläsernen Büro und schaut ins Leere. Durch die Scheiben sind Jaqueline (Petra van de Voort) und John (Fritz Karl) zu sehen, wie sich umarmen.

Recht entspricht nicht immer dem Gefühl von Gerechtigkeit

Interview mit Hauptdarstellerin Natalia Wörner

Ihre Figur, die Berliner Anwältin Annabelle Martinelli, hat sich erfolgreich auf Sexualdelikte von Männern spezialisiert. Plötzlich gerät sie zwischen die Fronten verschiedener Interessen. In welchen Konflikten steckt Annabelle?

Unser Film erzählt von zwei unterschiedlichen Fällen, in denen jeweils den Männern sexuelle Übergriffigkeit bis zur Vergewaltigung vorgeworfen wird, gepaart mit Machtmissbrauch und massiver körperlicher Gewalt. In dem einen Fall gerät meine Figur Annabelle in ein erst einmal unauflösliches Dilemma und ist – sowohl als Freundin wie auch als Anwältin – in einer ständigen Ambivalenz. Und ohne jetzt spoilern zu wollen, bleibt das zunächst als Widerspruch im Raum stehen. Die Dynamik der Geschichte entspricht eben keinem klassischen Betroffenheitsmuster oder einer zu erwartenden Rollenverteilung, die im politisch korrekten Sinne zu erwarten wäre. Annabelle ist eine karrierebewusste, erfolgreiche Anwältin und bei aller Professionalität durchaus empathiefähig – auch wenn sie das streckenweise gut zu verstecken weiß.

Was war Ihnen schauspielerisch bei der Darstellung der Figur Annabelle wichtig?

Für mich als Darstellerin war es – gemeinsam mit Lars Becker, dem Regisseur – ein ständiges Abwägen, wie sehr sich Annabelle öffnet und zumindest die Tür einen Spalt aufmacht, sich in die Karten schauen lässt, um dem Zuschauer einen Blick in ihr Innenleben zu gestatten. Eine Person wie Annabelle zu porträtieren ist tricky, denn sie selbst ist voller Schutzmechanismen und würde sich eher immer im Funktionsmodus definieren, als sich durchlässig, transparent und verletzlich zu zeigen. Wenn ich es plakativ ausdrücke: Sie ist keine Figur, die sich dem Zuschauer in Minute 5 auf den Schoß setzt und gemocht werden will. Sie braucht eine professionelle Distanz, um den Job, den sie hat, durchzuziehen.

Wie beurteilen Sie persönlich das Verhalten von Annabelle als Freundin und als Anwältin?

Recht entspricht nicht immer unserem Gefühl von Gerechtigkeit. Ich glaube, dass fast jede oder jeder, der kein Anwalt oder die keine Anwältin ist, eine innere Hürde überwinden muss, um Entscheidungen nachvollziehen oder gar verstehen zu können, die nötig sind, um einen Sexualstraftäter oder Mörder zu verteidigen. Das ist für Fachfremde ein weiter Weg, der unter Umständen erst einmal Distanz schaffen kann – eine natürliche Reaktion würde ich sagen. Für mich als Schauspielerin ist es lebensnotwendig, meine Figur nicht zu bewerten oder mit einem moralischen Zeigefinger auf sie zu zeigen, ich würde mich ihr sonst entfernen oder entfremden. Annabelle ist sperrig und hat ihren eigenen Lebensmut gepaart mit einer abgeklärten Einsamkeit, aber es ist mir gelungen, mich in sie zu verlieben (lacht). Aus der Figur heraus würde ich sagen, Annabelle ist „State of the art“: Sie zieht ihr Ding durch, nimmt die Zeichen der Zeit im Sinne von #MeToo sehr bewusst wahr und passt ihre Verhandlungstechniken schnell dem neuen gesellschaftlichen Bewusstsein an.

Welchen Beitrag leistet dieser Film aus Ihrer persönlichen Sicht zur #MeToo-Debatte?

„Wahrheit oder Lüge“ ist kein plakativer #MeToo-Film mit eindeutiger Opfer-Täter-Zuschreibung geworden. Ich finde, wir bewegen uns mit „Wahrheit oder Lüge“ mitten in der Diskussion und erzählen auch klare Etappensiege, die diese notwendige und anhaltende Bewusstseinsverschärfung mit sich brachte und hoffentlich weiterhin bringt. Es ist wichtig, immer weiter für dieses Thema zu sensibilisieren, weit über alle vermeintlichen Generationen- und Geschlechtergrenzen hinaus.

Annabelle (Natalia Wörner) bittet Grace (Thelma Buabeng) um einen Gefallen bei den Ausstellungsvorbereitungen in der Kunstgalerie.

Interesse an Grauzonen in Zeiten von #MeToo

Fragen an Regisseur und Drehbuchautor Lars Becker

Eine Anwältin hat sich erfolgreich auf Sexualdelikte spezialisiert und gerät plötzlich zwischen die Fronten. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Mich hat interessiert zu erzählen, wie komplex und schwierig es für eine Strafverteidigerin ist, ein Sexualdelikt moralisch, politisch und karrieristisch vor einem Prozess so zu verhandeln, dass es nicht zu einer öffentlichen Vorverurteilung eines Angeklagten kommt. Die Methode, als Schutzmaßnahme gedacht – aber politisch unkorrekt gehandelt – kann dann schlicht Schweigegeld sein, auch um einen Prozess verhindern.

Welche Rolle hat für das Film-Thema die #MeToo-Debatte gespielt?

Die #MeToo-Debatte war und ist eine notwendige Diskussion, die den Zusammenhang von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch thematisiert hat – und natürlich ein Baustein des Films „Wahrheit oder Lüge“.

Was war Ihnen bei Drehbuch und Inszenierung wichtig?

Es wäre mitten in der #MeToo-Debatte einfach gewesen, ein stereotypes Täter-Opfer-Bild zu inszenieren – Mann: Täter, Frau: Opfer. Mich hat aber vor allem die Grauzone interessiert, wo Frauen sich ebenso opportunistisch oder karrieristisch verhalten, wenn sie den Machtmissbrauch der Männer stillschweigend hinnehmen, um die Karriere nicht zu gefährden. Der Film lässt Bilder über die beiden Missbrauchsfälle im Kopf entstehen, die gar nicht gezeigt werden, und gewinnt daraus seine Spannung. Es ist ein Drama, eine politisch interessante Studie fernab von Krimi-Genre-Konventionen.

Interviews: Dagmar Landgrebe

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