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Vergeltung und Rache wieder viel mehr verbreitet

28. Mai 2023

Laut Amnesty International haben die Zahlen der Hinrichtungen 2022 ein neues Hoch erreicht. Die Gemeinschaft Sant’Egidio hofft, dass es irgendwann keine Todesurteile mehr gibt und sieht sich durch schlechte wie gute Beispiele ermutigt. Ein Interview des domradio.de mit dem 2. Vorsitzenden der Gemeinschaft, Dr. Matthias Leineweber, in Würzburg.

Wie sehr haben der Bericht von Amnesty International und diese Zahlen Sie geschockt?

Es hat mich negativ überrascht. Ein bisschen habe ich es leider befürchtet, weil man nach der Coronazeit davon ausgehen musste, dass auch leider in diesem Prozess wieder einiges in Gang kommt. Also Todesurteile und diese Maschinerie der Hinrichtungen. Aber ich glaube, vor allen Dingen ist es auch so, dass die internationale Atmosphäre auch durch den Ukraine-Krieg sehr stark militarisiert ist. Vergeltung und Rache sind wieder viel mehr verbreitet. Das wirkt sich natürlich auch im Umgang der Staaten aus, wie sie mit solchen Dingen umgehen. Und in diesem ganzen Prozess, wo sich alles auf einen großen Konflikt fokussiert, der uns ja alle auch zu Recht sehr stark beschäftigt, gibt es die autoritären Regime, die so etwas natürlich vielleicht auch nutzen.

Protest gegen die Todesstrafe von Exil-Iranern in der Fußgängerzone von Hannover.

Die Gemeinschaft Sant’Egidio setzt sich seit bald 30 Jahren für die Abschaffung der Todesstrafe ein. Wenn Sie jetzt die Zahl von mehr als 880 Hinrichtungen weltweit lesen, ist das für Sie ein Stück weit frustrierend?

Ich denke, jeder Einzelne ist einer zu viel. Natürlich sind diese Zahlen erschreckend, aber es ist auch nochmal ein zusätzlicher Ansporn. Wir dürfen nicht zulassen, dass wir eine Tendenz wieder umkehren, die wir in den letzten 30 Jahren in Gang gesetzt haben, nämlich hin zu weniger Hinrichtungen, zu weniger Todesurteilen und zur Abschaffung in sehr, sehr vielen Ländern.

In dem Bericht heißt es ja, dass allein im Iran mindestens 576 Exekutionen stattgefunden haben. Gerade in China werden tausende inoffiziell vermutet. Was denken Sie, wie hoch ist die Dunkelziffer?

Das ist nicht abzuschätzen. Ich denke, Amnesty hat da einen sehr guten Einblick und die Vermutungen sind meiner Meinung nach richtig. Da ist es einfach auch sehr, sehr wichtig, dass wir versuchen uns zu informieren, darüber zu sprechen, einfach nicht nur auf unseren Fokus in unserem Europa beschränkt zu bleiben. Ich glaube, es hilft den Menschen auch weltweit, wenn es da eine Sensibilität gibt und wenn diejenigen, das sehen wir ja im Iran, die sich für Menschenrechte einsetzen, auch im Westen unterstützt werden. Und wenn sie merken, dass das hier ein Echo hat.

Trotzdem muss man ja auch sagen, dass zumindest ein paar Länder die Todesstrafe abgeschafft haben. Ist das für Sie auch ein Funken Hoffnung und vielleicht auch schon mal ein Hinweg dahin, dass es irgendwann gar keine Hinrichtungen mehr geben wird?

Ja, das ist auf alle Fälle eine Ermutigung. Sehen Sie die USA, dass Virginia die Todesstrafe abgeschafft hat. Präsident Biden hat ein Moratorium auf Bundesebene verhängt. Das sind zwei ganz wichtige Signale, weil die USA ja doch ein Vorbild für weltweite Menschenrechte sind. Das muss man trotz aller Einschränkungen sagen. Und Afrika ist sehr mutig. In vielen Ländern tut sich was. Das ist auch nach Europa, glaube ich, so der nächste Kontinent, der da vorangehen könnte, und da arbeiten wir auch sehr stark.

Wie kann es gelingen, dass auch in Ländern wie China, Iran oder Saudi-Arabien das Durchführen der Todesstrafe verhindert wird?

Ich glaube, ganz wichtig sind die menschlichen Kontakte, der Austausch, der Dialog. Sehen Sie die Arbeit von Papst Franziskus mit den muslimischen Staaten, dass zum Beispiel ja auch Menschen wie Al-Tayyeb, der Großimam von El-Azhar, jede Gewalt im Namen der Religion verurteilt. Das ist eine Frucht einer Freundschaftsbeziehung. Und ich glaube, da können gerade religiöse Vereinigungen viel tun. Es ist einfach ganz, ganz wichtig, dass wir den Austausch pflegen und niemanden in eine Ecke drängen und verdammen. Das tut keinem Land gut, weil es in jedem Land auch sehr viele gute Menschen guten Willens gibt.

Das Interview führte Michelle Olion | domradio.de

 

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