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Kann Veränderung und Heilung möglich sein?

19. April 2019

Wie kannst du mit einem sprechen, der seine Frau erschlagen hat? Auf einer Geburtstagsparty wurde ich von einer Bekannten meines Bruders mit dieser Frage überfallen. Im Gespräch stellte sich heraus, dass sie mit dem Opfer gut befreundet war. Meine seelsorgerische Schweigepflicht verbot es, ihr zu sagen, dass ich den Täter tatsächlich kenne, mit ihm in guten Kontakt stehe.

Ich konnte ihr nicht sagen, dass er sehr unter seiner Tat, leidet; dass er sich vor dem Tag fürchtet, an dem seine Töchter alt genug sind, ihn zu fragen, warum er das getan hat. Die Frage hat ihre Berechtigung. Wie kann ich mich den Tätern zuwenden: Den Räubern und Totschlägern, den Einbrechern und Vergewaltigern, den Dealern und Zuhältern? Haben Sie nicht das Recht auf jede menschliche Zuwendung verwirkt „Wegsperren und zwar für immer“, hat mal ein Bundeskanzler gesagt. „Rübe ab“, höre ich immer wieder in Gesprächen. Ich finde diese menschliche Emotion verständlich. Das Leid der Opfer rührt uns an und vermutlich gibt es in jedem Menschen eine Angst, selbst irgendwann Opfer zu werden. Und ich stimme der These zu, dass oft für die Opfer viel zu wenig getan wird.

Und dennoch wende ich mich als Gefängnisseelsorger den Tätern zu. Das Evangelium gibt uns dazu die Folie: Viele Zöllner und Sünder kamen und Jesus isst mit ihnen. Jesus weist sie nicht ab, er hört ihnen zu. Das ist mein Alltag in der JVA. Jeden Tag wenden sich Gefangene an mich und wollen reden: Über ihre Probleme, ihre Familie, über die Einsamkeit und Langeweile im Knast, die Schwierigkeiten im Vollzug; und dann auch über ihr Leben und ihre Geschichte, ihre Wünsche und Sehnsüchte, ihre Ängste; über Schuld auch und über Hoffnung, das alles hinter sich lassen zu können, neu anzufangen. Wie schön wäre es, endlich die Finger von den Drogen zu lassen; endlich seine Aggressionen steuern können; ehrlich leben zu können.

Die wenigsten reden schön, was sie getan haben, kaum einer redet sich raus und schiebt die Schuld auf andere. Die Allermeisten stehen zu dem, was sie getan haben. Jesus sagt den Zöllnern und Sündern nicht, dass alles gut sei, „Schwamm drüber“ oder „weiter so“. Er nennt die Dinge „krank“, die Unheil bringen, aber er sagt auch, dass Heilung möglich ist: „Die Kranken brauchen den Arzt!“ Ich könnte nicht im Gefängnis arbeiten, wenn ich kein Herz für die Gefangenen hätte. Das hat zwei Gründe…

  • Die Geschichten und Taten würden mich kaputt machen, wenn ich nicht hinter allem den Menschen sehen könnte. Jeder Mensch ist von Gott geschaffen, jeder Mensch ist gut – nur halt nicht immer. Und da kann ich mich nicht ausnehmen und keinen meiner Mitmenschen.
  • Die meisten Gefangenen haben ein feines Gespür dafür, mit welcher Haltung ich mich ihnen nähere: ob ich sie von oben herab verurteile, ob ich es ernst mit ihnen meine und mit dem, was ich sage und tue.

Die Bibel nennt diese Haltung „Barmherzigkeit“: Ein Herz für die Armen und Notleidenden haben. Barmherzigkeit fragt nicht danach, ob der andere das jetzt verdient hat oder nicht; ob er schuld ist an seiner Not. Die Arbeit im Knast hat mich dankbarer gemacht gerade mit Blick auf die Brüche in meiner Biografie: Was hätte nicht alles schief gehen können; wie hätte ich abrutschen, auf die berühmte „schiefe Bahn“ geraten können. Es ist ganz sicher nicht mein Verdienst, dass es immer gut gegangen ist. Das ist Gnade, ein Geschenk. Andere hatten nicht dieses Glück. Ich kann verurteilen, was sie getan haben, aber den Menschen, der dahinter steht, niemals. Ich bin kein besserer Mensch. Vielleicht gelingt es mir deshalb, mich wie einer der Jünger zu Jesus und den Sündern an den Tisch zu setzen. Gemeinsam hoffen und brauchen wir seine Zuwendung, seine Heilung. Denn Er, Gott, ist der Barmherzige.

Manfred Heitz | JVA Frankenthal

 

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