Alexander Lange | Neue Westfälische.
„Herr Rotzoll ist ein richtig Guter” findet Jakob (Name geändert). Immer korrekt, hilfsbereit und fair. Manchmal sogar zu fair, sagt er: „Die Lehrer draußen waren viel strenger.” Die ganze Klasse lacht laut auf. „Ja Mann, ist echt so.” Herr Rotzoll lacht mit. Während seines Studiums hatte Frank Rotzoll auch vor, einer von den Lehrern „draußen” zu werden. Nun aber lehrt er hinter Gittern, in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Herford. Als die Schulglocke klingelt, macht sich die Klasse auf den Weg: „Ab auf Zelle, endlich Mittagessen”. Rotzoll wünscht „guten Hunger.”
Er sei den klassischen Weg gegangen, studierte an der Uni Bielefeld Geschichte und Deutsch auf Lehramt, absolvierte dann sein Referendariat. Doch statt der erhofften Festanstellung warteten nur Vertretungsstellen und Zeitverträge auf den gebürtigen Herforder. „Meine Fächerkombination gab es wie Sand am Meer. Stellen aber nicht.” Von den Inhalten seines Studiums musste Rotzoll früh abrücken. Nicht, weil sie belanglos sind. Im Knast gibt es keine Abnehmer für französische Revolutionen oder die Buddenbrooks: „Wir müssen einigen hier erstmal das Lesen und Schreiben beibringen.” Die meisten der knapp 280 Inhaftierten sind zwischen 18 und 20 Jahre alt. „Einige sind aber auf dem geistigen Stand von 12 Jahren stehen geblieben”, sagt Rotzoll. „Die meisten waren draußen kaum in der Schule”, weiß Rotzoll.
Ein Bekannter, der als Lehrer an der JVA unterrichtete, habe ihm dann von einer offenen Stelle erzählt. Überlegt, beworben, genommen. „Das war vor fünf Jahren. Seitdem bin ich hier”, sagt er. Mit dem Gefängnis habe er vorher nie Berührungspunkte gehabt, nicht einmal gewusst, dass es dort auch Lehrer gibt: „Und jetzt bin ich einer davon.”
Sexualstraftäter am Ende der Hierarchie
In den Klassenräumen hängen Plakate zur Konjugation von “haben”: Ich habe, du hast, er/sie/es hat. Grundschulniveau. “Manche hier haben auch schon einen umgebracht.” Mörder, Drogendealer, Sexualstraftäter und Gewalttätige teilen sich die Schulbank. Nicht alle seien sich grün, sagt Rotzoll: “Ganz im Gegenteil. Vor allem die Sexualstraftäter sind hier ganz unten in der Hierarchie der Gefangenen. “Es sei keine gewöhnliche Schule “wie draußen”. Alles sei an die jeweiligen Ausbildungen der JVA geknüpft, ob Maler, Koch, Schlosser oder Maurer. Bei Haftantritt werden Fähigkeiten und Kenntnisstand geprüft. Rechnen, Lesen und Schreiben müsse schon halbwegs klappen. Wer das nicht könne, müsse Förderkurse besuchen. “Und wer da scheitert, ist für eine Ausbildung nicht gemacht”, sagt Rotzoll. In den Klassen geht es dann um Rechenformeln, Grammatik, Steuern oder Versicherungen in vereinfachter Form. All das, was für die Arbeit außerhalb der Gefängnismauern wichtig ist.
Während des Studiums träumte Rotzoll immer von Klassenfahrten nach Wien oder London: Den jungen Leuten die Welt erklären. Aber raus aus dem Knast, nach Wien oder London, kommen seine Schüler nicht. „Die Arbeit hier in den Klassen öffnet dir die Augen. Das hier ist auch die Realität.” Aber Gefangene seien ein Teil der Gesellschaft, dürften nicht an den Rand gedrängt und vergessen werden: „Wir als Lehrer sind dann auch Sozialarbeiter. Wir bringen den Jungs bei, in einem späteren Leben überhaupt klarzukommen.”
Die Perspektive heißt Ausbildung
Er habe Lieblingsschüler genauso wie besonders schwierige Fälle. „Manche”, so Rotzoll: „könnten locker in einer gewöhnlichen Realschule sitzen. Bei anderen weiß ich, dass sie hierhin zurückkommen.” Die Kunst sei es, „die Jungs immer wieder zu motivieren”: „Manche sitzen bis zu zehn Jahre und verbringen hier ihre komplette Jugend.” Es gebe kein Wundermittel. Es hänge vom jeweiligen Typ ab, wie man als Insasse mit dem Leben hinter Gittern klarkomme, sagt Rotzoll.
Perspektive sei für viele Gefangene ein Fremdwort. Perspektive hätten viele noch nie gehabt, deshalb seien sie da: „Wir sagen denen, dass sie das hier im späteren Leben nur voranbringt. Zwingen können wir aber keinen.” Rotzoll äußert sogar Verständnis, wenn „seine Jungs” keinen Bock haben. Wenn man immer nur von Gitterstäben umringt sei, drücke das auf die Motivation: „Mir haben schon ein paar Jungs erzählt, dass sie ihre mentale Leistung nicht auf dem Niveau halten können. Dass sie die Haft total beeinflusst und fertig macht.” Entsprechend müssten sie sich eben anstrengen.
Notfallknopf am Hosenbund
Den Notfallknopf am Hosenbund hat Rotzoll im Unterricht noch nie gebraucht. Dass er einen Schüler mal aus dem Unterricht geschmissen habe, sei vorgekommen: „Am Anfang aber öfter als in letzter Zeit.” Man müsse Respekt aufbauen. Respekt vor den Leuten, die in ihrer Jugend vor niemandem Respekt hatten: „Irgendwann wirst du ruhiger, dann ist dir egal, ob du einem Drogendealer oder Sexualstraftäter Deutsch beibringst.” Du kriegst ein Gefühl, wie du mit den Jungs umgehen musst.” Und das, so Rotzoll, sei „draußen” genauso wie „drinnen”.
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