Mit einer kleinen Anekdote aus ihrem Leben beginnt die Juristin Malin Mahner vom Katholischen Büro in Berlin ihr Grusswort zur Studientagung der Gefängnisseelsorge. Im Rahmen einer Firm-Veranstaltung habe sich für den Besuch der JVA Düsseldorf, der mittlerweile geschlossenen „Ulmer Höh“, entschieden. Sie erinnert sich noch heute sehr lebhaft an diesen Tag.
Bereits bei dem ersten Schritt hinter die Gefängnismauern wurde ihr damals bewusst, dass das Leben im Vollzug anders ist als das, was sie bisher kannte. Die Enge der gewölbeartig gebauten Hafträume der ehmaligen JVA Düsseldorf aus dem Jahr 1893 der, die an die Wände eingeritzten Zahlen für die bereits verbüßten Tagen aus vergangenen Zeiten waren ein prägender Anblick. Die Abläufe sind reglementiert; die Freiheit wird eingeschränkt.
Freier Stuhl auf der anderen Seite
Besonders nachdenklich hat mich aber die Begegnung mit mehreren jugendlichen Straffälligen gemacht. Als wir den Raum für einen Austausch betraten, setzten sich meine Mitfirmanden mit deutlichem Abstand eng gereiht auf die eine Seite des Tisches und die Straffälligen auf die andere Seite. Es entstand eine räumlich und meines Erachtens auch emotionale Distanz. Da alle Plätze auf beiden Seiten besetzt waren, entschied ich mich, an dem nächsten Tisch in Mitten der Inhaftierten Platz zu nehmen. Auch wenn ich mich anfangs etwas unsicher fühlte, bin ich heute dankbar, dass für mich kein Stuhl mehr frei war. Denn nur mitten unter ihnen konnte ich die unsichtbaren Grenzen aufbrechen und ich meinen Sitznachbarn vor allem als einen Menschen wahrnehmen, mit Sorgen, Gedanken und Zielen im Leben.
Die ethischen Fragen, die sich bei einer Strafe stellen, nach Sühne und Schuld, nach Wiedergutmachung und Vergebung sind weitaus komplexer als dieses eine Erlebnis. Aber dennoch hat es mich in meinen jungen Jahren zu einer wichtigen Erkenntnis gebracht: Die Menschen in den Gefängnissen mögen zwar eine Strafe verbüßen, aber sie sind dennoch ein Teil unserer Gesellschaft und sie sind vor allem weiter eines: Mensch. Ich möchte Ihnen, den Gefängnisseelsorgern und Gefängnisseelsorgerinnen danken, dass Sie tagtäglich Ihren gegenüber in der JVA als Mensch begegnen und dass– wie Jesus es in Mt 25, 36.40 formulierte – zu ihnen, den Straffälligen, kommen. Wir, das Katholische Büro, sind die Verbindungsstelle zwischen Politik und Katholischer Kirche und fühlen uns hier nicht nur den ureigenen Interessen der Kirche verpflichtet, sondern sind insbesondere auch als Anwälte für unsere Vereine, die die Schwachen, Hilfebedürftigen und Ausgegrenzten unterstützen, aktiv. Als Beispiel möchte ich Ihnen einen Gesetzesentwurf des Bundeministerium für Justiz zur Erneuerung des Sanktionsrechts nennen, der eine Modifizierung der Ersatzfreiheitsstrafe vorsah.
Zu Ersatzfreiheitsstrafe Stellung bezogen
Aus Gesprächen mit Ihnen und auch mit der Caritas habe ich erfahren, dass die Ersatzfreiheitsstrafe in der Praxis Personen betrifft, die ohnehin am Rande der Gesellschaft stehen und deren prekäre Lebenssituation sich durch das Verbüßen der Ersatzfreiheitsstrafe nur weiter verschlechtert. Für die Ersatzfreiheitsstrafe sah der Gesetzesentwurf aber nur eine Modifizierung der Norm derart vor, dass zwei Tagessätze der Geldstrafe einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen sollten. Das sahen wir als nicht ausreichend an. Denn der Antritt einer Haftstrafe würde damit nicht verhindert werden. Das Katholische Büro hat daher zu diesem Gesetzesentwurf in gebündelter Kraft mit unseren evangelischen Kolleginnen und Kollegen, der BAG-S und insbesondere Ihrer Expertise Stellung bezogen. Wir haben die Lage der Personen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen dargelegt, und u.a. gefordert: Eine Geldstrafe muss auch für Personen mit keinem Einkommen „bezahlbar“ bleiben und falls dies nicht möglich ist, sollte es eine „Härteklausel“ für Personen in besonders prekären Lebenssituationen geben.
Es gibt unterschiedliche Schlüssel
Haben wir vielleicht das juristische und politische Geschick, Ihre Belange auf der großen Bühne der Politik anzubringen, so benötigen wir aber zugleich Ihre langjährige Erfahrung vor Ort mit den betroffenen Menschen, um die Richtung unserer Stellungnahmen zu bestimmen. Wie schon die in der Einladung zu dieser Tagung gewählte Metapher besagt: Es gibt unterschiedliche Schlüssel, die unterschiedliche Türen öffnen können. Halten die Gefängnisseelsorger oft die Schlüssel zu den Hafträumen in der Hand, so halten wir die Schlüssel in der Hand und wählen das passende Schloss aus, um auf politischer Ebene Ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen und im parlamentarischen Verfahren auf entsprechende Gesetzesänderungen hinzuwirken.
Ohnmachtsgefühl in der Gesellschaft
Gerade in den letzten von neuartigen Krisen, wie der Pandemie und dem Ukrainekrieg dominierten Jahren, wächst auch das Ohnmachtsgefühl in der Gesellschaft. Die Demokratie ist nur durch ein begrenzt eingelöstes allgemeines Gleichheits- und Partizipationsversprechen gekennzeichnet, sodass viele den Eindruck haben mögen, kein Gehör zu finden und handlungsunfähig zu sein. Auch die Möglichkeit eines atomaren Krieges ist real geworden und verstärkt das Gefühl der Hilflosigkeit weiter. Unsere Aufgabe als Katholisches Büro im speziellen ist es zu versuchen, in diesen Zeiten als Schlüsselmeister Türen zu öffnen und dem Ohnmachtsgefühl zumindest teilweise auf politischer Ebene entgegenzuwirken. Die gemeinsame Aufgabe unserer Glaubensgemeinschaft und der Organisationen wie der Ihrigen ist es aber, in diesen unsicheren Zeiten Halt zu geben.
Malin Mahner | Katholisches Büro Berlin