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Unabhängige Kontrolle bei Thema Missbrauch unverzichtbar

17. April 2024

Bei der deutschsprachigen Präventions-Fachtagung in Wien zeigt sich der österreichische Bischof Benno Elbs dankbar für die Kontrolle der Kirche beim Thema Missbrauch durch Opferverbände. „Wir als in vielen Bereichen geschlossenes System müssen alles tun, um unabhängige Instanzen zu haben, die uns kontrollieren“, sagte der Feldkircher Bischof bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der internationalen kirchlichen Fachtagung zu Missbrauchs-Prävention. Gegenüber den Medien und ihrer mitunter scharfen Kritik dürfe die Kirche „nicht wehleidig sein“, sagt er selbstkritisch.

„Gott sei Dank zwingen sie uns, mit dem Thema aktiv umzugehen im Sinne der Betroffenen, was letztlich auch im Sinn der Institution Kirche ist“, sagte der Vorsitzende des gemeinsamen Opferschutz-Beirates von Österreichischer Bischofskonferenz und Ordenskonferenz. Hinsichtlich der Prävention von Gewalt und Missbrauch habe die Kirche viele Fehler gemacht „und hoffentlich viel gelernt“, räumte Bischof Benno Elbs ein. Ziel der Bischofskonferenz sei es, „dass es in allen Bereichen bis hin zu Pfarrgemeinden oder Jugendgruppen Präventionskonzepte gibt, die von den diözesanen Stabsstellen für Missbrauch betreut werden“. Seit mittlerweile gut zwölf Jahren gebe es gezielte Bemühungen in diese Richtung, und es gebe „immer noch Luft nach oben, aber ich sehe die Luft positiv“, zeigte sich Elbs zuversichtlich. Neben dem sexuellen Missbrauch kämen inzwischen auch andere Formen wie spirituelle Gewalt in den Fokus, wobei es vor allem um Beschränkung religiöser Selbstbestimmung gehe. Immer müsse es dabei um den Schutz der Betroffenen und um konsequente Aufarbeitung durch die unabhängige Opferschutz-Anwaltschaft gehen.

Gegenteil zur Heilsbotschaft

Für die Deutsche Bischofskonferenz bezog der Passauer Bischof Stefan Oster Stellung und sagte, würde man nach einem „Masterplan zur Zerstörung der Kirche“ suchen, wäre dies wohl der Missbrauch. „Die Kirche ist da, um Menschen zu helfen und um das zu finden, was wir Heil nennen – größere Freiheit, Liebesfähigkeit und Freude. Genau das Gegenteil haben jene erlebt, die im Auftrag dieses Heils verletzt werden.“ Erst recht aufgrund ihres hohen Ideals müsse sich die Kirche um Prävention und Aufarbeitung von Missbrauch bemühen und etwa bei Priesteramts-Kandidaten besonders auf deren Reife und Ausbildung achten. Zudem seien die Erkenntnisse aus den Missbrauchs-Studien in Deutschland auch Ausgangspunkt des Reformprozesses „Synodaler Weg“ gewesen. Auf die in der Schweiz gestarteten, bis 2027 laufenden unabhängigen Forschungen zur Geschichte des kirchlichen Missbrauchs verwies bei der Diskussion der Churer Bischof Joseph Bonnemain. Die Studie solle „Schwarz auf Weiß zeigen, was an Schuld begangen worden ist, statt diese zu atomisieren oder unter den Teppich zu kehren“. Nur wenn die Kirche die eigenen Fehler klar vor Augen habe und ihre Sorge „auf die Betroffenen statt auf die eigene Institution“ richte, sei es ihr möglich, in ihrer Morallehre den eigenen Ansatz von „nachhaltig vertrauensschenkenden, erfüllenden und von Respekt geprägten“ Beziehungen weiter hochzuhalten.

Fallhöhe und Gottesschwindel

Von einer „größeren Fallhöhe“ der Kirche aufgrund ihres Selbstanspruchs sprach bei der Podiumsdiskussion auch die Leiterin des Bonner Instituts für Prävention und Aufarbeitung (IPA), Mary Hallay-Witte. „Opfer von Missbrauch durch die Kirche sind in ihrer Identität nicht nur als Menschen verletzt, sondern auch als Glaubende, die den Glauben oft nicht als etwas Handlungsleitendes, Tröstendes und als Ressource fürs Leben erfahren können. Der Zugang zu einem liebenden Gott bleibt ihnen oft verwehrt“, so die Religionspädagogin, Therapeutin und frühere Sprecherin der Präventionsbeauftragten der deutschen Diözesen. Der Wiener Fundamentaltheologe Wolfgang Treitler bezeichnete bei seinem Vortrag im Rahmen der Tagung den kirchlichen Missbrauch als „atheistisches Experiment“, bei dem sich der Peiniger an die Stelle Gottes setze. Oft bekomme die verübte Gewalt einen „religiösen Unterbau“, etwa durch Umdeutung der Kreuzigung Christi oder der Vater-Sohn-Metapher. „Sexueller Missbrauch an wehrlosen Minderjährigen ist Blasphemie. Gott, der Liebe und Barmherzigkeit ist, mutiert dabei zu einer rhetorischen Form des Schwindels und der nicht haltbaren Täuschung“, sagte der Theologe.

Aufarbeitung mit Schwierigkeiten

Über schwerwiegende Folgen von Gewalt und Missbrauch berichtete bei der Tagung am Donnerstag Brigitte Lueger-Schuster, Professorin für Psychotraumatologie an der Universität Wien. Die Expertin ist Autorin von vier Studien mit von institutionellem Missbrauch Betroffenen, darunter auch eine 2011/12 durchgeführte zu Opfern der katholischen Kirche Österreichs, finanziert damals durch den Jubiläumsfonds der Nationalbank. Nahezu alle Untersuchten hätten von multiplen und kombinierten Formen von Gewalt – körperlich, emotional und sexuell – und von negativem Befinden direkt nach den Vorfällen berichtet, „und die meisten leiden auch jetzt noch, Jahrzehnte später, an posttraumatischer Belastungsstörung und weiteren psychischen Störungen“, berichtete die Expertin über die durchgeführten Tiefeninterviews.

Neben den allgemeinen Langzeit-Auswirkungen wie Selbstwert-Probleme, Aggressionen, Mut- und Hoffnungslosigkeit, Vertrauensverlust und Beziehungsbrüche gebe es bei manchen Opfern aus kirchlichen Einrichtungen auch Spezifika, berichtete Lueger-Schuster. So könnten teils Kirchenglocken oder die Begegnung mit kirchlicher Kindergruppen Flashbacks auslösen. Andere sagen von sich, ohne die Übergriffe wären sie wahrscheinlich spirituell mehr gewachsen oder hätten eine bessere Beziehung zur Kirche aufgebaut, zitierte die Expertin aus den Ergebnissen, die vor der nunmehrigen Fachtagung noch nie in kirchlichem Rahmen präsentiert worden waren. Das in der Fachwelt als „Betrayal Trauma“ bezeichnete Phänomen des Betrugs durch die Institution, die Schutz und Förderung versprochen habe, treffe bei Opfern kirchlicher Gewalt in besonderer Weise zu.

Mit Nachdruck verwies die Wiener Psychotraumatologin auf die Bedeutung der Anhörung von Betroffenen. „Jede Kommission, die sich der Aufarbeitung von traumatischen Ereignissen widmet, steht auch für öffentliche Anerkennung des Erlittenen und damit für soziale Anerkennung und Unterstützung. Ihre Tätigkeit wie auch die Art des Umgangs kann heilende Wirkung haben und zur Bewältigung beitragen“, so Lueger-Schuster. Wichtig seien dabei klare Strukturen und Informationen, gut geschulte MitarbeiterInnen, Vertraulichkeit und vertrauensbildende Maßnahmen, Transparenz, Verzicht auf Bevormundung sowie ein Anerkennen des Mutes, den der Schritt der Kontaktaufnahme oft bereits abverlange.

Haltungsänderung muss weitergehen

Fortschritte und zugleich Handlungsbedarf der Kirche in Sachen Missbrauch ortete bei der Tagung der an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom lehrende Theologe Peter Beer. Das Thema Kinderschutz sei mittlerweile auf weltkirchlicher Ebene angekommen, werde jedoch regional ganz anders gehandhabt. „Man versucht weiterhin auf einen gemeinsamen Stand zu kommen“, so der frühere Münchner Generalvikar über die Behandlung des Themas bei den jüngsten Bischofssynoden. Wichtig sei allerdings, weiter auf eine grundlegende Haltungsänderung zu drängen. Prävention sei „weder Zusatzaufgabe noch Mittel zum Zweck, sondern es ist Bestandteil der kirchlichen Sendung, sich für die Schwachen und Vulnerablen einzusetzen und ihnen die Unterstützung zu geben.“ Auch Beer kam auf die Bedeutung des öffentlichen Drucks zu sprechen. In der Regel sei es in allen Ländern so, dass sich die Kirche erst durch diesen ernsthaft in Bewegung setze und Stellen und Schutzkonzepte schaffe. Wichtig sei, dass das Interesse danach nicht mit der nachlassenden öffentlichen Wahrnehmung wieder abflaue. Die damit befassten Spezialisten sollten Impulsgeber dafür sein, „dass wir dauerhaft und gemeinsam an diesem Thema dranbleiben“.

kathpress

 

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