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Geschädigten sexueller Gewalt in der Kirche Sichtbarkeit zeigen

5. August 2023

Sie sind in rot-weiße Bänder gehüllt, Die Farbe weiß ist als Symbol für die Unschuld und die Farbe violett als Farbe der Kurien-Kleriker gemeint. Der Künstler Dennis Josef Meseg will damit den Sexuellen Missbrauch in der Kirche anprangern. „Es geht darum, den Geschädigten Sichtbarkeit zu geben. Aber auch um die Täter: Damit die nicht im stillen Kämmerlein weitermachen können, weil sie wissen: Es passiert nichts.“

Meseg, der als Kind selbst Missbrauchsopfer wurde, erklärt: „Zu Tausenden haben Gläubige die Kirche verlassen, mit ihren Kindern an der Hand, die als fröhliche junge Christen eintraten und als gebrochene Seelen wieder zurückkehrten“. Die Aktion mit dem Namen „Shattered Souls … in a Sea of Silence“ ist als Kunstinstallation temporär aufgebaut worden. Die 333 Kinderfiguren in weiß-purpurnes Flatterband gewickelt zeigen auf den Kölner Dom. Der Künstler will damit auf den Missbrauch aufmerksam machen. Pfarrer Stephan Kessler wünscht sich, dass sich die Kirche der Kunst stellt. So sagt der Jesuit und Leiter der Kunst-Station St. Peter in Köln im Interview mit dem domradio.de:

333 Kinder-Schaufensterpuppen mit weiß-violettem Flatterband auf dem Kölner Domplatz Anfang August 2023. Foto: Regina Börschel | Titelfoto: Imago

Sind die 333 Kinder-Schaufensterpuppen in weiß-violettem Flatterband Protest? Ist das Kunst?

Beides, es ist künstlerischer Protest. Ich bin eigens hin geradelt und habe mir das angeschaut. Das ist sehr beeindruckend. Der Protest macht auf etwas aufmerksam, was wir und wir als Kirche gerne übersehen und ganz lange nicht gesehen haben, dass die kirchlichen Strukturen zu einer Art des Missbrauchs von Gewalt führen. 333 Kinderpuppen weisen mit ihrem ausgestreckten Arm und Finger auf den Kölner Dom. Wenn man nach einer Messe aus dem Dom heraustritt und plötzlich diese 333 Figuren in den Kirchenfarben sieht, ist das sehr beeindruckend. Weiß und Violett. Violett ist die Farbe der Bischöfe, die genau diese Kinder so lange nicht gesehen haben und den Missbrauch an Kindern und die Gewalt gegenüber den Gläubigen nicht wahrnehmen wollten und konnten. Deswegen ist das ein Protest, der eine hohe künstlerische Qualität hat. Er ist ästhetisch. Er ist ortsspezifisch. Und er zeigt, was wir nicht sehen oder nicht sehen wollen.

Haben Sie Reaktionen umstehender Leute mitbekommen?

Ja, an diesem Kunstwerk auf der Kölner Domplatte kommen Hunderte von Gästen vorbei, die sich fotografieren, die froh sind, dass sie in Köln sind. Es sind Leute und Passanten, die vom Bahnhof über die Domplatte in die Stadt gehen. Alle schauen hin, und manche sind erstaunt. Man sieht einigen die Abscheu an, sobald sie realisieren, worum es geht. Genau um dieses übersehene Unheil, das so vielen Menschen zu Teil geworden ist, könnte es gehen. Wir leben in einer Zeit, in der die Kirche durch die Austritte als Institution öffentlich zerfällt. Darauf macht der Künstler Dennis Josef Meseg aufmerksam. Er macht Ungesehenes sichtbar. Das ist wie das, was die Propheten in der Bibel tun. Sie sagen nicht die Zukunft voraus, sondern sie weisen auf etwas in ihrem jetzt hin. Sie benennen, wie es ist. Dazu steht Gott in einer Beziehung.

Sie sind selbst ein Mann der Kirche. Sie sind Pfarrer, Priester, Ordensmann. Fühlen Sie sich auch angegriffen oder eher aufgerüttelt?

Ich fühle mich berührt. Ich fühle mich nicht angegriffen, weil die Kirche und auch der Jesuitenorden damit kämpfen, dass in ihrer Größe und in ihren gelingenden Seiten Opfer erzeugt wurden. Wir waren auch diejenigen, die versucht haben, diese Opfer in den Blick zu bringen. Ich fühle mich von dieser Installation mit dem Titel „Shattered Souls in a Sea of Silence“, also erschütterte Seelen in einem Meer von Schweigen, wirklich bestärkt und bestätigt. Auch wenn ich den Schmerz fühle. Auch wenn ich das Unangenehme dieser anderen Wirklichkeit wahrnehme. Dass die Kirche, in deren Mitte durch die Lebenshingabe Jesu Christi, aus der wir leben, auch ein Opfer steht, sich so verirrt hat und selbst so viele Opfer erzeugt hat.

Es gibt Leute, die sagen, dass gerade die katholische Kirche sich schon seit Jahren um die Aufarbeitung sexueller Gewalt in ihren eigenen Reihen kümmert. Was sagen Sie dazu?

Natürlich kümmert sich die Kirche. Das ist unsere höchste Aufgabe, unsere Priorität. Das sagt auch der Erzbischof von Köln. Es ist nur schade, dass er sich mit dieser Installation, die vor seiner Kathedralkirche steht, nicht auseinandersetzt. Meines Wissens auch nicht der Generalvikar oder das Domkapitel. Es wäre eine Möglichkeit, sich mit diesem unangenehmen Finger der Kunst, der sich in die Wunde der Zeit und in die Wunde der Kirche legt, auseinanderzusetzen. Seien wir ehrlich, ohne die Kirche entlasten zu wollen: Missbrauch ist kein Thema alleine der Kirche. Aber in der Kirche ist es umso dramatischer, wenn wir die DNA des Evangeliums verwechselt haben oder so in eine Machtposition verändert haben, in der so viel Leid geschehen ist, dass der Bischof von Hildesheim sagen konnte, dass Missbrauch zur DNA dieser klerikalisierten Macht gehört.

Der Künstler betont, dass die Aktion sich nicht gegen die Kirche als Ganzes, sondern dezidiert gegen Täter und Vertuscher richtet. Inspiriert worden sei er allerdings durch den Skandal um Kardinal Woelki.

Genau und er macht das wunderbar sichtbar. Diese Kinderfiguren erinnern mich an Ministranten mit ihren violetten Talaren und den weißen Chorhemden. Es sind die Kinder, die ihre Arme anklagend und bittend offen in Richtung der Kirche und Dom erheben. Das ist schon bewegend. Als ich gestern noch mal dort war, waren viele Menschen im Gespräch darüber. Sie waren erschüttert bis verärgert, dass hier die Domplatte zugestellt ist. Aber das ist Kunst. Kunst legt den Finger in die Wunden. Deswegen möchte ich als Leiter der Kunst-Station Sankt Peter aus der Perspektive der Kirche sagen: Dieser Kunst kann sich die Kirche stellen. Das ist zeitgenössische Kunst, die nicht etwas Sakrales darstellt, die aber auf etwas hinweist, was im Raum der Kirche passiert, was wir sehen müssen und was wir durch die Kunst lernen.

Das Interview führte Hilde Regeniter | Quelle: domradio.de

 

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