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Gute Nacht. Eine lapidare Zug-Anzeige mit Tiefgang

2. Mai 2023

„Gute Nacht“. Die Anzeige der NordWestBahn verheißt nichts Gutes. Endstation. Bis hierher und nicht weiter. Mitten in der Pampa. Kein Taxi, kein belebter Bahnhof. Einfach nichts. Mutterseelen-Allein. Nicht einmal ein Automat mit Getränken. Dies alles in der nordrhein-westfälischen Stadt Löhne kurz vor Mitternacht. Ob da noch ein Zug fährt? Nichts deutet darauf hin. Ein Bild für die Sackgasse im Leben der Katholischen Kirche? Da noch eine „Gute Nacht“ wünschen? Mir kommen am verlassenen Bahnsteig viele Gedanken zur „dunklen Nacht“…

Die Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland kommt vom 8. bis 12. Mai 2023 in Duisburg zum Thema „Pädokriminalität und Gefängnisseelsorge“ zusammen. Als Vertreter der Katholischen Kirche soll ich ein Grußwort sprechen. Dies bedeutet, ich muss von Tätern in den eigenen Reihen erzählen. Von denen, die aus falsch verstandener Rücksichtnahme auf das System Kirche es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen bzw. sie im Dunklen belassen wollen. Das sogenannte „System“ legt sich wie ein schweigender Schutz-Mantel um die Täter. Aber in der heutigen aufmerksam gewordenen Zeit fallen die Würdenträger nach und nach vom Sockel.

Scheinheilig- und Zweideutigkeit

Säße einer der Täter der Katholischen Kirche auf einer Sozialtherapeutischen Abteilung eines Gefängnisses, um sich seinen Straftaten zu stellen, so würden bestimmt dieselben Mechanismen greifen, wie die „Vertuscher“ sie angewandt haben. Zu viel Scheinheilig- und Zweideutigkeit bleibt leider bestehen. Die Verantwortungsträger, die aktuell der Öffentlichkeit bekannt sind, versuchen zu bekunden, dass jetzt alles „rechtmäßig“ ver- und behandelt wird. Das sehe ich noch lange nicht so. Mag sein, dass unter dem Blick und der Sensibilität heutiger Öffentlichkeit jetzt anders vorgegangen wird, aber die Machtstrukturen, die den sexuellen und geistigen Missbrauch begünstigen, werden nicht angetastet.

Lernen und nicht schweigen. Verschweigen verhindert Lernen

Zurück auf die SoThA im Jugendgefängnis. Ein 21-jährige Straftäter hat gesetzte Grenzen zu seiner acht Jahre alten Nichte durchbrochen. Er hat kinderpornografische Bilder heruntergeladen und getauscht. „Ich habe keinen anderen Kindern geschadet, „nur“ meiner Nichte“, meinte er anfangs seiner Haftzeit. Erst allmählich begreift er, dass er eine pädophile Neigung hat. Wie damit umgehen, wie weiterleben mit dieser Erkenntnis? Der Straftäter hat sich selbst jetzt ehrlicher im Blick, weil er weiß, dass er wahrscheinlich so veranlagt ist. Er will und wird hoffentlich lernen nach seiner Entlassung in einer therapeutischen Wohngruppe mit dieser Erkenntnis umzugehen und zu leben. Der Weg dorthin war und bleibt steinig und schwer. Wie oft wurde er im Knast angegangen und zusammengeschlagen. Das ist keine Lösung, weder für ihn, noch diejenigen, die ihn so bestrafen wollen. Auch darüber zu schweigen, ist nicht hilfreich.

Erste Schritte?

Seelsorge im Gefängnis wird intensiver als in den Kirchengemeinden wahrgenommen, als Angenommen-Suchen-und-Werden, trotz der auf sich geladenen Schuld. Ob etwas aus dem beschriebenen Beispiel übertragbar ist? Vielleicht hinkt der Vergleich zu dem Geschehenen im Kirchensystem: aber auch hier wird in den „eigenen Reihen“ begangenes Unrecht zunächst nicht als solches wahrgenommen. Man schweigt darüber. Vermeintlich, um die „Familie“, hier „die Kirche“ zu schützen. Ob die Verantwortlichen im System Kirche, wenn sie sich ihrer Schuld bewusst werden und diese jetzt in der Öffentlichkeit bekennen, sich nach Angenommen-Sein sehnen, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls wird berichtet, dass Würdenträger Bundesverdienstkreuze und andere Anerkennungen für würde-volles Leben abgelehnt haben bzw. zurückgeben. Ein erster Schritt in Richtung Lernen, dass es ein Verbrechen ist, Unrecht zu verschweigen? Eine gute NACHT?

Michael King | JVA Herford

 

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