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Trotz Leid ein tiefes Vertrauen in die Menschlichkeit

21. Oktober 2023

Vor einigen Tagen starb Mohsen mit 33 Jahren in der Magdeburger Klinik, die Krankheit hatte ihm den Tod gebracht. Fassungslosigkeit und tiefer Schmerz erfasste seine Familie und viele Freundinnen und Freunde. Mohsen war vor einigen Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen und promovierte erfolgreich an der Universität. Für sein wissenschaftliches Engagement war ihm ein Preis zugesagt worden – er hat ihn nicht mehr entgegennehmen können.

Und auch sozial setzte er sich unermüdlich ein für andere Menschen, so organisierte er tatkräftig Hilfen für Geflüchtete aus der Ukraine. Jetzt haben wir ihn gemeinsam mit der Familie, Freundinnen und Freunden und einigen Mitarbeitenden der Klinik gewürdigt und unserer Trauer Ausdruck gegeben in einer kleinen Feier am Ort der Trauer in einem Park auf dem Gelände der Klinik.

Aufgenommen auf der Insel Gran Canaria. Foto: Jonathan Werner

Ausgesetzt der Brüchigkeit

In Mohsens Geschichte wird mir wieder deutlich, wie sehr wir ausgeliefert sind dem natürlichen und dem menschengemachten Schicksal in Krankheit, Vertreibung und Flucht. Vielleicht haben wir hier bei uns in einer einigermaßen stabilen Demokratie ein Gefühl von Sicherheit, doch darf das nicht hinwegtäuschen über unser grundsätzliches Ausgesetztsein in der konkreten Zeitgeschichte mit aller Brüchigkeit und Verletzlichkeit. Alarmierend und verunsichernd sind bei uns zurzeit die hohen Zustimmungswerte in der Bevölkerung zu einer rassistischen und verfassungsfeindlichen Partei.

Erkenne die Wirklichkeit

Mohsens Geschichte schenkt mir aber auch Einsicht in eine berühmt gewordene Antwort Jesu auf die hinterhältige Falle seiner Feinde, von der das Matthäusevangelium berichtet. Auf dem Weg nach Jerusalem stellten sie ihm mit einer Münze in der Hand die Frage, ob es erlaubt sei, dem Kaiser die Steuer zu zahlen. Und Jesus sagt: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört.“ Das verbindende Wort „und“ in seiner Antwort eröffnet die besondere Herausforderung: in dem, was geschieht, wo und wie und in welchem System du auch immer lebst, erkenne es an als die Wirklichkeit, in die du das bringst, was Gott gehört. Antworte in diese konkrete Welt hinein mit dem, wozu du berufen bist. Was aber bedeutet „Gott geben, was Gott gehört“? Gemeinsam mit allen Geschöpfen sind wir Gottes Schöpfung, so können wir ihm auch nur dies geben: unser Menschlich-sein in der Verbundenheit aller, die aus Mutter Erde geworden sind. Das ist unser Mitgefühl, gründend in menschlicher Güte. Sie ist tief in uns die göttliche Gabe, die wirkt, wo immer sie verschenkt wird.

In allem Leid getragen

Jesu Antwort ist beileibe kein billiger Spruch, sondern echte Herausforderung. Denn wirkliche Güte kann erst tatsächlich als solche erfahren werden, wo das Leid und der Kummer darin getragen ist. Die arabisch-amerikanische Dichterin Naomi Shihab Nye, Tochter eines palästinensischen Vaters und einer amerikanischen Mutter, beschreibt dies so: „Bevor du Güte erkennst als den tiefsten inneren Grund, musst du den Kummer erkennen als den anderen tiefsten Grund. Du musst aufwachen mit Kummer. Du musst zu ihm sprechen, bis deine Stimme den Faden allen Kummers erfasst und du siehst, wie groß der Stoff ist. Dann macht nur noch Güte Sinn…“ Das ist Hingabe. Und sie ist möglich in all das Leid hinein, das geschieht, weil sie nochmal getragen ist von Gott selbst. In der Hingabe können wir nicht verloren gehen. So geben wir Gott, was Gott gehört. Mohsen hat so gelebt. Mich bewegen der Mut und das tiefe Vertrauen in Menschlichkeit, wo immer ich solchen Menschen begegne. Das macht mich dankbar und ermutigt mich: wir können nicht nur Krieg! Wir können auch anders.

Christoph Kunz | Mt 22, 15 – 21

 

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