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Tränen lügen nicht immer, sie decken oft die Beziehung auf

3. Februar 2023

Früher baten die Menschen Gott um die Gabe der Tränen. Es ist nicht jedem gegeben, (noch) weinen zu können. Viele wünschen sich ihre Tränen zurück. Sie möchten weinen, aber ihre Tränen sind versiegt. Sie sind leer geweint, ausgetrocknet, wie ein Boden nach langer Dürre. Andere unterdrücken ihre Tränen. Es gelingt ihnen nicht, die innere Blockade zu lösen. Wenn der Schmerz herauskäme, würden ihre Tränen sie überfluten. Ein Art Selbstschutz.

Dabei würden sie gerne weinen, aber sie bringen es nicht fertig. Viele Männer tun sich immer noch schwer damit, zu weinen, nach dem Motto: Ein Mann weint nicht. Keine Schwäche zeigen. Männer weinen oft nach innen. Tränen schmecken bitter, aber es tut gut, das Bittere herauszuweinen. Dadurch löst sich der Schmerz. Tränen entlasten, reinigen, klären den getrübten Blick. Augen, die geweint haben, sehen klarer. Tränen bringen Licht in unsere Seele. Wir haben es (meistens) nicht selbst in der Hand, wann wir weinen.

Nicht geweinte Tränen

Tränen überkommen uns, überraschen uns manchmal. Ein Lied, ein Film, eine Romanze kann uns zu Tränen rühren. In den Tränen ist das gleiche Salz wie im Meereswasser. Wir kommen ja aus dem Wasser. Wenn wir nicht mehr weinen (können), laufen wir Gefahr, krank zu werden. Tumore sind oft nicht geweinte, die verschluckten Tränen, sagen uns Heilpraktiker. Wenn keine Tränen fließen, setzt der Schmerz sich in uns fest. Die nicht geweinten Tränen vergiften unseren Körper, versteinern unsere Seele. Durch das Weinen kommt Trost in unser lnneres – der Trost der Tränen. Weinend kommen wir mit unserer innersten Quelle in Berührung. Mit unseren Tränen waschen wir unsere inneren Wunden aus. Tränen lügen nicht, decken die wahre Beziehung auf. Manche brauchen auch lange nach dem Tod des geliebten Menschen nur seinen Namen zu hören und schon schießen ihnen die Tränen in die Augen.

Tränen der Reue

Weinende möchten nicht zum Aufliören getröstet werden. „Du brauchst nicht zu weinen“ – „Reiß dich zusammen“ – „Ist doch alles nicht so schlimm.“ Vielmehr brauchen sie einen Menschen, bei dem sie sich ausweinen können. Ein mitfühlender Mensch, der sie festhält, damit sie weiter weinen können. Es tut gut vor dem anderen traurig, schwach sein zu dürfen. Wenn wir wissen, dass unser Weg zu Ende geht, kommen uns manchmal wie von selbst die Tränen. Wir weinen verpassten Chancen, versäumten Gelegenheiten nach. Tränen der Reue. Es ist ein ganz tiefer Schmerz, nicht mehr gutmachen zu können, was wir zutiefst bereuen. Eine letzte Träne läuft im letzten Augenblick oft über die Wange, auch bei Menschen, die man nie hat weinen sehen. Diese eine letzte Träne drückt all die nicht geweinten Tränen aus und auch den Schmerz, sein Leben loszulassen und seine Lieben allein zurückzulassen.

Vor Freunde weinen

Tränen sind nicht nur Ausdruck des Schmerzes, auch Glück kann uns zu Tränen rühren. Vor Freude weinen. Freudentränen. Etwa wenn der Totgeglaubte noch am Leben ist. „Frau, warum weinst du?“, fragt der Auferstandene Maria Magdalena an seinem Grab. Was ist der tiefere Kern unserer Traurigkeit? Mit unseren Tränen beweinen wir vielfach uns selbst, weil wir nun den Weg allein ohne den geliebten Menschen weitergehen müssen. Wir brauchen die Verstorbenen nicht beweinen. Sie haben hinter sich, was wir noch vor uns haben. Wenn ich es geschafft habe, hoffe ich, dass die Trauernden bei meiner Beerdigung nicht ganz bei Trost sind und unter Tränen über mich lachen.

Petrus Ceelen | Aus: Was ich Euch noch sagen wollte, S. 85-86

 

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