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Macht Fürsprache für Straftäter nicht mitschuldig?

2. Dezember 2020

Der heilige Augustinus setzt sich in einem Briefwechsel mit Richter Macedonius für Straftäter ein.

Geweitete Augen, wehendes Gewand, vorwärtsdrängender Schritt, Griff ans Herz. Die Augustinus-Skulptur von Jürgen Goertz in der Gelsenkirchener Fußgängerzone ist von mitreißender Dynamik. In Bronze gegossen ist hier der berühmte Satz des Bischofs von Hippo (im heutigen Algerien, 354 – 430) aus seinen Bekenntnissen: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir“. Auch im Trierer Dom kann man ihn entdecken, am Osterleuchter.

Als einen der vier großen Kirchenväter mit Bezug zur Bistumsstadt Trier sieht man Augustinus als Neugetauften, tanzend im Taufkleid. Der Suchende hat gefunden. Der Trierer Beitrag zur Bekehrung des bedeutenden Heiligen ist ebenfalls in seinen autobiographischen Confessiones geschildert. In Mailand hört er von einem afrikanischen Freund von Mönchen vor der Stadt Trier, welche sich in evangelischer Radikalität vom weltlichen Leben zurückgezogen hatten. Dortige kaiserliche Beamte, aber vom Hörensagen auch Augustinus in Mailand sind tief beeindruckt. Sein Weg führt bald zur Bekehrung und zur Taufe mit 33 Jahren durch Ambrosius.

Fürsprache für Verbrecher?

Die unruhige Biographie des Augustinus mündet in ein gewaltiges seelsorgliches und schriftstellerisches Schaffen. Sich zurückziehen wie die Trierer Einsiedler kann er nicht. Als Bischof von Hippo (ab 396) ist in großen kirchenpolitischen Auseinandersetzungen sein Charisma als Theologe und Hirte gefragt. Auch ist er in regelmäßigen bischöflichen Sprechstunden als Ratgeber, Streitschlichter und Fürsprecher engagiert. Eine einzige Anfrage aus Hunderten sei einmal exemplarisch aufgegriffen. Der ehemalige Bundestagspräsident und Augustinus-Liebhaber Norbert Lammert hat in einem Vortrag vor Bochumer Gefangenen das Thema aufgegriffen: Darf man, soll man als Christ für Straftäter Fürsprache einlegen?

Einwände dagegen kommen von dem mit Augustinus gut bekannten Strafrichter Macedonius aus Hippo. Er fragt: Bedeutet die Verkürzung der Strafe nicht die Billigung des Verbrechens? Gott hat die Sünde verboten. Warum kann dann für Verbrechen Vergebung gefordert werden. Ja, macht die Fürsprache für Straftäter den Fürsprecher nicht geradezu mitschuldig? Die aufgeworfenen Fragen und Einwände sind auch über 1600 Jahre später noch aktuell. Nach neueren Umfragen unter evangelischen und katholischen Kirchbesuchern würde eine Mehrheit durchschnittlich höhere Strafen für Kriminelle verhängen als der deutsche Staatsanwalt.

Keine Billigung der Tat

Was erwidert Augustinus? In einem Brief (epistula 153) an „den geliebten Sohn im Herrn“ Macedonius, Richter in Hippo, aus dem Jahr 413 stimmt Augustinus zunächst zu: „Eure Strenge ist von Nutzen, da durch sie unsere Ruhe gefördert wird.“ Er ergänzt jedoch: „Aber auch unsere Fürsprache ist von Nutzen, da durch sie Eure Strenge gemildert wird.“ Worum es im Einzelnen geht, ist nicht beschrieben. Haftverschonung? Haftverkürzung? Augustinus betont, es gehe ihm nicht um Billigung der Tat. Zur Fürsprache bewegen ihn zunächst theologische Gründe. Keine menschliche Bosheit könne die Geduld Gottes aufheben. Dies sporne auch uns zur Nachahmung seiner Barmherzigkeit an.

Des Weiteren spielt er auf die Verfassung des Menschen an, auf die “gemeinsame Schwäche“ aller, ihre Verführbarkeit. Davon sei keiner ganz frei. Der Blick darauf müsse den Eifer des Anklägers mildern und auch die Strenge des Richters. Er als Bischof lege Fürsprache ein „als Sünder für Sünder… bei Sündern“. Augustinus setzt den Begriff des Verbrechens in Analogie zum Krankheitsbegriff und schreibt: Man muss „die Bösen in der Absicht lieben, damit sie nicht mehr böse seien, wie man auch die Kranken liebt, nicht damit sie krank bleiben, sondern damit sie gesund werden“. So lehnt Augustin auch die Todesstrafe ab und stellt das Verbrechen und die Rache auf die gleiche Stufe. Strafe hat nach Augustinus eine pädagogische Funktion und darf nicht nur bloße Leidzufügung sein.

Not der Gefangenen

Von seinem Mailänder Lehrmeister, dem in Trier geborenen Bischof Ambrosius, hatte er schon erste Impulse für die Fürsprache für Gefangene erhalten. Der hatte hervorgehoben, dass die Gefangenen der damaligen Zeit sich kaum bemerkbar machen, sich kein Gehör verschaffen konnten. Wie verschämte Arme auf Initiative von außen Zuwendung brauchen, so sei es auch bei Gefängnisinsassen, so Ambrosius. „Es soll dir jener Sträfling im Gefängnis (im Geiste) begegnen“. Ambrosius und Augustinus sprechen vom Schaden des Verbrechens, aber auch von der haftbedingten Not der Gefangenen und geben Impulse für Gefangenenbetreuung und Gefangenenseelsorge.

Alfons Zimmer, JVA Bochum | Foto: Propstei St. Augustinus

 

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