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Songlines: Ein Musik-Ort der Hansestadt ist die JVA

4. Oktober 2024

“Einen Tag soll die Hansestadt Herford zu einem lebendigen Klang und Bewegungsraum werden”, so heißt es im Einladungsflyer des Herforder Stadttheaters. Und weiter: “Lieder und Musik sind ein emotionales Netzwerk, das jenseits von Sprach- und Staatsgrenzen, sozialem Stand, Geschlecht, Alter und Hautfarbe verbindet und berührt.” Unter diesem Motto durchdringt eine der Veranstaltungen von SONGLINES die Grenzen der Gefängnismauern im Jugendvollzug.

 

In unterschiedlichen musikalischen Darbietungen soll die Vielfalt und Farbigkeit gezeigt werden: In der Stadtbibliothek, der Marienkirche, im Alten Güterbahnhof, dem Städtischen Museum und in der Pizzeria der Innenstadt. Ein Musik-Ort, an dem sonst niemand so einfach hinkommt, ist die Justizvollzugsanstalt Herford. Mitten in der Stadt gelegen ist dieser doch kaum einsehbar. In der gesamten Hansestadt findet sich kein Hinweisschild auf das Jugendgefängnis, obwohl es bereits 1883 in Betrieb ging.

Publikum von draußen

Die Musik verbindet Welten. Für den unbekannten Ort der JVA haben sich 19 TeilnehmerInnen vorab mit ihren Personendaten anmelden können. Sie nehmen an der Probe des Projektes Musikband mit sechs Gefangenen teil. Jugendliche Inhaftierte der JVA Herford haben mit der Musikschule Herford im Jahr 2014 das Projekt mit Unterstützung von “Kultur macht stark” in­i­ti­ie­rt. Die Band existiert über all die Jahre in verschiedenen Besetzungen. Jeden Freitagnachmittag entdecken Gefangene mit zwei Musiklehrern ihre Fähigkeiten. Musik zu machen, auch ohne Noten lesen können, ist für jeden von ihnen eine neue Erfahrung: Der eine lernt nach Gehör Klavier spielen, der andere erprobt sich mit seiner Stimme und wieder ein anderer lernt Bass-Gitarre. Zusammen lernen sie aufeinander zu hören, sich gegenseitig zu respektieren und ihre oft schlummernden Begabungen zu entdecken. Die „Kreative Zelle“ ist ein fester Bestandteil in der Kooperation mit der Gefängnisseelsorge der Justizvollzugsanstalt.

Buntes Pot­pour­ri

Aus vier Musikstücken besteht das bunte Potpourii, das die Gefangenen mit den Musiklehrern Adriana Riemann und Roland Reuter im Probemodus aufführen. Ein Rap-Song darf neben den englischen Liedern nicht fehlen: “Lose control” von Teddy Swims oder “Ain’t No Sunshine” des US-amerikanischen Sängers Bill Withers. Eigens dafür lernt der 20-jährige Steve am Mikrofon den englischen Liedtext. Aly, ein aus Syrien gebürtiger Gefangener, der bis vor kurzem noch nie ein Geigeninstrument in der Hand hatte, lässt Klänge zu den Melodien hören. “An diesem Ort sind Jugendliche, die sich aus unterschiedlichen Biografien und Kulturen zusammen gesetzt sind. In jeder Probe tauchen Dissonanzen auf, die vor allem auf der Beziehungsebene untereinander liegen”, erzählt Gefängnisseelsorger Michael King. Der Gruppenprozess ist neben dem Erlernen eines Instrumentes oder dem Ausprobieren seiner eigenen Stimme am wichtigsten. “Die Problematiken, die zur Straffälligkeit führten sowie die Auseinandersetzungen innerhalb des Jugendgefängnisses, spielen eine Rolle. Oft kann die Teilnahme an der Musikband Druck herausnehmen und die Inhaftierten gehen gelassener zurück”, meint King.

Spiegel des Lebens

Eine Überraschung gibt es für die Gefangenen während ihres Auftritts. Die als Gast teilnehmende Seyma singt mit der Musiklehrerin Adriana Riemann am Klavier den Song “Mirror” von Medison Ryann Ward. Der Liedtext übersetzt: „Behalte mich in deinem Spiegel, aber wende deine Augen nicht von der Straße ab. Festhalten bringt uns nicht näher. Denn wir haben noch einen langen Weg vor uns…“ Dies könnte wie für die Gefangenen geschrieben sein. Ein lang anhaltende Applaus gilt den musizierenden Gefangenen, die sich darüber sehr freuen. „Wie bei Dieter Bohlen“, sagt einer. „Ein tolles Gefühl ist das…“, sagt Petry, ein gebürtiger Bulgare. Am Ende überreichen die Inhaftierten den Gästen eine aus Holz gefertigte Würdetafel nach einer Idee des Bonner Diakons Ralf Knoblauch. Sie ist in der Arbeitstherapie der JVA Herford in Handarbeit hergestellt und zeigt eine Krone mit den Worten „Würde“ und „unantastbar“. Darüber konnten sich die Gäste und die Gefangenen sowie die drei Bediensteten des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD) bei Kaffee und Keksen unterhalten. „Eine sehr gelungene Veranstaltung“, sagt eine Teilnehmende. „Ich bin sehr berührt und froh, dass ich in diese Realität hinter den Mauern einmal Einblick nehmen konnte“, sagt sie und folgt den Bediensteten Richtung Ausgang.

Michael King

 

1 Rückmeldung

  1. Roland sagt:

    Danke für den schönen Artikel. Du hast den Auftritt sehr gut beschrieben. Wenn man so in der Sache involviert ist, übersieht man leicht, wie das alles beim Publikum ankommt. Und das war sichtlich begeistert und beeindruckt. Bei der Abschlussdankesrede der Veranstalter abends im Theater wurde die JVA als einziges Event namentlich erwähnt. Da kann man doch stolz sein.
    Ich wünsche dir eine gute Zeit und freue mich auf das nächste Treffen.

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