Mancher religiöser Eiferer deutet das Coronavirus als Strafe Gottes. Doch wie haben die Menschen früher solche Ereignisse gesehen und was steht darüber in der Bibel? Das erläutert der Leiter der Erzbischöflichen Bibel- und Liturgieschule in Köln, Gunther Fleischer. Am bekanntesten sind die zehn biblischen Plagen, mit denen die Ägypter bestraft wurden, weil sie die Israeliten nicht in ihre Heimat ziehen lassen wollten. Welche Katastrophen und Epidemien gibt es noch in der Bibel?
Die zehn Plagen zeigen schon ein ganzes Spektrum auf – wobei diese sehr besonders sind. Sie sind eigentlich weniger Straffe als ein Mittel der Erpressung. Die Menschen haben mit verschiedenen Katastrophen zu tun. Es gibt so eine Dreizahl, die immer gerne zusammen genannt wird: der Krieg, der Hunger und die Pest als Beispiel für eine Seuchenplage. Darüber hinaus wäre auch die Heuschreckenplage zu nennen.
Was ist jetzt mit diesen Seuchen und Plagen? Gelten die in der Bibel tatsächlich als Bestrafung?
Das gibt es auf jeden Fall. Zum Beispiel als König David von Gott durch den Propheten verboten wurde, seine Leute zu zählen. Der Hintergrund ist einfach: Er soll auf Gott vertrauen und wenn Gefahr ansteht, wird Gott das Ganze lenken. Aber was tut David? Er zählt natürlich doch seine Leute. Und dann kriegt er zur Auswahl gestellt, dass er zwischen Krieg, Pest oder Hunger wählen kann. Das läuft tatsächlich in diesem relativ banalen Strafmodus ab. Das viel Wichtigere daran ist aber: Es wird nicht nur als Strafe gesehen, sondern prinzipiell als etwas, hinter dem Gott selber steht – was immer der Grund dafür sein mag. Vorsorglich wird dann nicht nur gebetet, sondern auch gefastet. Man vermutet hinter diesen Katastrophen auch schuldhaftes Verhalten, und deshalb wendet man sich in Bußriten an Gott, um diese Plage abzuwenden.
Jetzt gibt es das Buch Hiob. Dieser Hiob lebte völlig rechtschaffen und tat nichts Böses. Und nur aufgrund einer Wette zwischen Gott und dem Teufel ereilte ihn ein Unglück nach dem anderen. Ist das nicht eine sehr zynische Erzählung?
Ganz im Gegenteil. Das Buch Hiob ist ein sehr komplexes Buch. Und da geht es gerade darum, aus einem fast schon als Mechanismus gedachten Zusammenhang auszubrechen. Hier wendet sich das, was bis dahin als fester Zusammenhang gesehen wurde: der Zusammenhang zwischen Sünde und Unglück. Das behaupten zumindest einige theologische Gelehrte. Sünde verursacht Unglück und daraus kann ich rückschließen, das wo ein Unglück ist, jemand gesündigt haben muss. Dieser Zusammenhang wird aufgebrochen, und es wird gesagt: Nein, es kann auch ohne Sünde, also ohne Schuld seitens des Menschen, ein solches Unheil geben, auf das wir letztlich aber keine Antwort haben. Im Buch Hiob gibt es zwar eine Antwort – eine Wette im Himmel – doch davon erfährt nur der Lesende, nicht Hiob. Das heißt für ihn bleibt das Ganze offen. Er ist in der Situation, in der wir alle sind: Es gibt keine wirkliche Antwort auf diese Frage. Er bekommt positiv zugesagt: Ich, Gott, halte an dir fest und lasse dich nicht fallen. Aber es gibt keine Begründung dafür.
Jetzt haben wir über die Ursachen von Unglück und Seuchen gesprochen. Wie war denn der Umgang mit an Aussatz Erkrankten? Hat man sie damals gepflegt?
Dafür fehlten die medizinischen Mittel. Man hat damals getan, was wir heute Quarantäne nennen. Deswegen heißt es ja bis ins Neue Testament hinein, diese Menschen sollen “Unrein, unrein” rufen – das ist nicht der Sündenruf, sondern diese Aussage besagte “Haltet Abstand, ich bin ansteckend und krank”. Die Menschen wurden tatsächlich in Quarantäne geschickt. Schauen wir mal in unsere Zeit: Früher hätte man bei einer Epidemie wie dem Coronavirus zusätzliche Gottesdienste gefeiert, um dagegen anzubeten. Heute hingegen lassen wir Gottesdienste ausfallen oder schließen unsere Kirchen. Ist unsere Gesellschaft jetzt säkularisierter oder ist sie aufgeklärter als früher?
Das würde ich gar nicht gegeneinander ausspielen. Es hat sich ja sogar innerreligiös einiges gewandelt. Auch da lässt sich, wie beim Buch Hiob, sehr genau ein Datum benennen: das Jahr 1755, um das Fest Allerheiligen herum. Zu dieser Zeit gab es einen berühmten Philosophen namens Gottfried Wilhelm Leibniz, der der Frage nachgegangen ist, wie Gott das ganze Leid zulassen kann? Leibniz hat darauf diese klassische Antwort gegeben: Es muss einen Sinn haben, denn Gott hat die beste aller Welten geschaffen. Es hat irgendeinen erzieherischen Grund.
Dann aber, am 1. November 1755, brach am Allerheiligenfest in Lissabon ein großes Erdbeben aus, das Tausende Menschen in den Tod riss. Und zwar alle Menschen, die zu der Zeit in der Kirche waren. Die Feldarbeiter aber, die an diesem Tag sozusagen das Sonntagsgebot gebrochen haben, überlebten. Das merkte man: Der ganze Zusammenhang stimmt nicht, er geht so nicht auf. Von daher ist das jetzt nicht nur eine Frage der Säkularisierung oder wie immer man es nennen will. Hier muss man nochmal neu nachdenken. Natürlich soll das Beten nicht aufgegeben werden, aber es ist auch sinnvoll zu klären, welche Gottesdienstformen, welches Beten geeigneter ist und welches weniger.
Das Gespräch führte Michelle Olion | Mit freundlicher Genehmigung: domradio