Im Jahr 2015 ist Muhamed (Name geändert) als 15 jähriger alleine aus Syrien über Jordanien geflüchtet. Sein Vater bezahlte Schleuser, so dass zumindest der älteste Sohn eine Möglichkeit im fernen Europa haben kann. Unter widrigen Umständen kam der Jugendliche als unbegleiteter Geflüchteter nach Deutschland. Hier lernte er sehr schnell die Sprache. Und doch fühlt er sich verlassen und allein. Um auf sich aufmerksam zu machen, legte er mehrere Brände in Gartenanlagen. In Folge dessen wurde er zu dreieinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt. Inzwischen ist Muhamed erwachsen geworden. Die traumatischen Erlebnisse in seiner Kindheit in Syrien begleiten ihn weiterhin.
Muhamed wurde in Damaskus als ältestes von vier Kindern geboren. Seit Vater ist Diplom-Ingenieur und hat in einer Behörde gearbeitet. Seine türkischstämmige Mutter ist Religionslehrerin. Die Familie gehört zum Volk der Tscherkessen. Er floh von Syrien nach Jordanien aus Sorge, frühzeitig zum syrischen Militärdienst eingezogen zu werden. Seine Familie blieb zunächst in Syrien. In Jordanien lebte er kurze Zeit bei seinem Onkel. Die Eltern flohen bald ebenso mit den Geschwistern in die Türkei, wo sie bis jetzt leben. Durch Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wurde Muhamed der Flüchtlingsstatus zuerkannt. Er leidet regelmäßig unter Panikattacken. Diese werden zum einen durch frühere Erlebnisse in Syrien während des Krieges und zum anderen durch Konflikte mit einem anderen Geflüchteten in der Flüchtlingsunterkunft verursacht. Dies ist nur eine Geschichte von vielen Menschen, die aus dem Kriegsland Syrien flüchten mussten.
10 Jahre Krieg in Syrien
Angesichts des inzwischen seit zehn Jahren andauernden Krieges in Syrien mahnt der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Ludwig Schick aus Bamberg, einen größeren Einsatz der Weltgemeinschaft für diplomatische Lösungen an: „In Syrien wütet ein Krieg, der auf der politischen Tagesordnung inzwischen nur noch hin und wieder auftaucht. Es ist unerlässlich, kontinuierlich und mit Nachdruck internationale Verhandlungen zu fördern, um das Leid der Zivilbevölkerung zu mildern. Während wir in Deutschland nach wie vor die Herausforderungen der Pandemie zu meistern versuchen, gehen Flucht, Vertreibung, Hunger und Sterben in den Kriegsgebieten des Nahen Ostens unvermindert weiter. Das Leid der Menschen erlaubt es nicht, uns erst mit uns selbst und irgendwann einmal wieder mit ihnen zu beschäftigen. Jetzt ist dringendes Handeln auf allen Ebenen internationaler Politik erforderlich“, so Erzbischof Schick.
Es sei notwendig, in allen Teilen des Landes Wege zu schaffen und Wege offen zu halten, damit humanitäre Hilfe möglich wird: „Damaskus und seine Verbündeten Russland und Iran, aber auch die Türkei, müssen Sorge dafür tragen, dass die humanitäre Hilfe unterschiedslos alle Bedürftigen erreichen kann.“ Europa versuche derzeit vor allem mit der Verhängung von Sanktionen politischen Druck auszuüben. Die Lage in Syrien zeige jedoch, dass die Sanktionen kaum zur Lösung des Konflikts beigetragen hätten, so Erzbischof Schick, der zuletzt 2019 das Land besucht hatte. Vielmehr verschlimmerten sie die humanitäre Lage weiter. „Es ist unabdingbar, die Folgen der Sanktionen für die Bevölkerung genau zu analysieren – und die Sanktionen gegebenenfalls anzupassen. Angesichts der Not muss es das oberste Gebot sein, gemeinsam danach zu suchen, wie den Menschen am besten geholfen werden kann.“
Schutz vor Willkür und Gewalt
Erzbischof Schick macht darauf aufmerksam, dass der Exodus der Menschen aus Syrien erst zum Erliegen kommen werde, wenn sich den Menschen vor Ort neue Lebensperspektiven eröffnen. „Die Menschen wollen ihre syrische Heimat nicht unbedingt verlassen. Aber ein Leben in Sicherheit und Frieden, das sie für sich und ihre Kinder wünschen, ist derzeit nicht in Sicht. Erst wenn politische Stabilität und der Schutz vor Willkür und Gewalt auch wirtschaftliche Chancen eröffnen, wird der Wegzug verebben.“ „Alle Initiativen, die eine Deeskalation in Syrien bewirken können, müssen die Unterstützung der Europäischen Union und der Vereinten Nationen finden“, so der Erzbischof. „Kreativität und Mut sind erforderlich, um mit allen Konfliktparteien ins Gespräch zu kommen.“ Insgesamt brauche es einen Mix aus diplomatischen Aktivitäten, dem Einsatz aller politischen Mittel und Offenheit zur Beteiligung all derer, die zu einer Lösung beitragen könnten.
Muhamed will nach seiner Inhaftierung entweder in die Türkei zur Mutter und seinen Geschwistern zurück oder in Deutschland bleiben. Es hat sich trotz den Umständen und den Nebenwirkungen im Jugendvollzug gut entwickelt. Sollte eine Abschiebung vom Tisch sein, so würde er seine Ausbildung als Elektroniker weiterführen wollen. Ohne etwas erreicht zu haben will er nicht zurückkehren. „Jeder würde den Gedanken haben, was ich in den letzten fünf Jahren getan habe“, sagt er. Die Panik-Attacken haben mit seinen möglichen Perspektiven und seinem Durchsetzungswillen nachgelassen. Er hat eine gute ehrenamtliche Betreuerin, die ihn unterstützt. Im Vollzug werden ihm ebenso gute Verhaltensnoten ausgestellt. Hinter jedem Menschen aus Syrien und anderen Ländern steckt eine Geschichte, die durch die Kriegserfahrungen geprägt sind und die Zeit brauchen, um zu heilen.