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Sehnsucht nach Neuem in all den Abgründen

11. Dezember 2020

Spruchkarte an der Haftrauminnentür eines jugendlichen Strafgefangenen.

Es gibt viele Geschichten mit und von Menschen zu erzählen, die nicht nur in der Zeit um Weihnachten – aus welchen Gründen auch immer – in der Justizvollzugsanstalt inhaftiert sind. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Die Sehnsüchte und Wirklichkeiten sind sehr verschieden, je nach dem, wer und was den konkreten Menschen ausmacht. Als Gefängnisseelsorger bekommt man verkorkste Existenzen und Abgründe mit. Und doch kommt immer wieder ein göttlicher Funke hervor, der all die Sehnsucht ausdrückt, die Menschen bewegt.

Einer vermisste seine Mama. Das Wort sprach er aus, wie er es in seiner Kindheit ausgesprochen haben mag, flehentlich und bittend. Über 30 jährig spürt er, dass er seine Jugend an die Drogen verloren hat und seine frühe Erwachsenenzeit an den Knast. Heute war er das Kind. Weiter war er noch nicht, das spürte er selber und seine ganze Traurigkeit und Sehnsucht lag in dem einen Wort: Mama.

Weihnachten im Knast. Für einige ist es das erste Mal. Manche haben schon Routine.

Einen traf ich schlafend an. Er schläft eigentlich immer. Arbeit hat er nicht, und der Knast ist ihm fast wie eine Heimat. Er isst immer meine ganzen Kekse weg. Nur wenn ich ihn nach seiner Familie frage wird er hart, verbittert. Will nicht sprechen. Er käme alleine klar. Dann fließen Tränen. Und ich weiß, er kommt nicht alleine klar. Im Knast glaubt er das,  weil er versorgt ist.

Wieder einem steht der Schreck noch ins Gesicht geschrieben. Jung an Jahren zum ersten mal in Knast.  Die Tinte auf dem Papier,  das seine Verurteilung zu vielen Jahren Haft festhält, ist noch nicht trocken.  Seine Zukunft hätte super laufen können.  Die Voraussetzungen waren gegeben. Wenn es diesen einen Tag nicht gegeben hätte…

Jemand wirft mir mit verzweifeltem Blick einen Stapel Briefe vom Gericht auf den Tisch. Er verstehe das alles nicht. Das könne doch alles nicht wahr sein. Verzweiflung spricht aus ihm.

Jemand ist tierisch nervös. Hat einen Brief an seinen Sohn geschrieben. Ob ich mal drüber gucken könnte. Er sei sich so unsicher. Geantwortet habe der Sohn noch nie. Dabei sehnt er sich so sehr danach. Aber seit seiner Tat ist Funkstille. Mit dem Sohn, mit der Frau, mit…. er stockt… Mit allen.

Einer spricht kein Wort,  das empfinde ich am anstrengendsten so spielen wir Tischfußball. Er gewinnt und ist glücklich.

Da hört einer Stimmen. Er will meine Stimme und die sollen die anderen Stimmen zum Schweigen bringen, mit Macht und dauerhaft. Ich höre, was seine Stimmen sagen, und das verheißt nichts Gutes.

Einer freut sich die Prüfung bestanden zu haben. Er darf sich bald Geselle nennen lassen. Bei mir bedankt er sich für die Begleitung in den letzten fünf Jahren. Ich freue mich mit ihm. Hoffe, dass er auch alle Prüfungen besteht, wenn er vor dem Tor steht.

Ein Tag im Advent. Ich war müde. Advent: Die Sehnsucht, dass das Alte endlich aufhören soll, und Neues endlich beginnt, ist riesengroß. Bei den Gefangenen und auch bei mir.

Hans-Gerd Paus | JVA Geldern

 

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