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Seelsorge in säkularisierter Gesellschaft hinter Mauern

28. Juni 2023

In der Einladung zur 69. Alpenländer-Tagung der Gefängnisseelsorge im Justizbildungszentrum Wien-Schwechat werden die TeilnehmerInnen mit „GefangenenhausseelsorgerInnen“ bezeichnet. Für die aus der Schweiz und Deutschland angereisten TeilnehmerInnen mag dies befremdlich klingen. Allerdings werden die gerichtlichen Gefangenenhäuser in Österreich so bezeichnet, weil sie einem Landesgericht angeschlossen sind. Grund genug, sich nicht nur darüber bei diesem Internationalen Treffen in der Woche auszutauschen.

Die Alpenländische Tagung von GefängnisseelsorgerInnen aus Bayern, der Schweiz und Österreich hat eine 70-jährige Geschichte. Im Jahr 1953 haben sich katholische Priester zusammengetan: Aus der Schweiz Kapuzinerpater Aelred Freuler, aus Bayern Prälat Anton Huber und aus Österreich Hofrat Heinrich Zeder sowie später Monsignore Anton Eder. Zu den Bundestagungen der Gefängnisseelsorger der Bundesrepublik Deutschland, die nach dem Kriegsende ab dem Jahr 1949 wieder stattfanden, wurden die Vorsitzenden der angrenzenden Länder, darunter Österreich und die Schweiz, eingeladen. 1968 wurde zum ersten Mal in Österreich im Tiroler Bildungsinstitut Grillhof bei Innsbruck die alpenländische Zusammenarbeit in Form eines eigenen Treffens besiegelt. Die von Prälat Huber aus dem Markt Dießen gestiftete Standarte trägt die Jahreszahl 1968. Sie wurde in Engelsberg bei Altötting mit den drei Wappen der Länder gefertigt. Das Monogram beinhaltet die Vornamen H für Heinrich Zeder und T für Toni bzw. Anton Huber, der Dekan für die Gefängnisse in Bayern war.

Christian Kuhn, Hofrat und ehemaliger Koordinator der österreichischen Gefangenenseelsorge.

Mario Kunz, Vorsitzender der bayerischen Konferenz, überreicht Wallfahrtskerzen der  UNESCO Wieskirche.

Das Rednerpult mit dem Logo der österreichischen Justiz in der Ecke des Fest- und Tagungssaales…

Generaldirektor für den Straf- und Maßnahmenvollzug im Bundesministerium für Justiz, Mag. Friedrich Alexander Koenig.


Historischer Ort in Wien-Schwechat

Das gesetzte Thema im Jahr 2023 kommt erst einmal theoretisch daher: „Seelsorge in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft“. Die über 50 GefängnisseelsorgerInnen können aus ihrem Alltag viele Geschichten zu diesem Titel erzählen. In den Justizvollzugseinrichtungen sind überwiegend Menschen inhaftiert, die entweder einer anderen Religion angehören oder nichts mehr mit der Kirche zu tun haben. Sie bezeichnen sich als „normal“, als bekenntnisfrei. Doch zuerst wird das Treffen abends feierlich im Justizzentrum Schwechat mit Grußworten und einem Abendessen eröffnet. Das Justizbildungszentrum Schwechat ist im Schloss Altkettenhof untergebracht, das der Bierbrauer Anton Dreher in den Jahren 1900 bis 1902 errichten ließ. Nach einer wechselvollen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam das Areal 1956 in den Besitz der Republik Österreich. Heute dient es als Justizzentrum und Bezirksgericht.

Referent mit spannender Biografie

Der emeritierte Prof. DDr. Matthias Beck des Instituts für Systematische Theologie und Ethik der Universität Wien hat sein Kommen zugesagt. Er stammt ursprünglich aus Hannover. Zuerst studierte Beck Pharmazie an der Universität Münster. Um näher am Menschen zu sein, wie er sagt, studierte er weiter Medizin. Im Alter von 25 Jahren ereignete sich nach den Worten Becks eine Art Pauluserlebnis, ein innerer Umbruch, der ihn dazu brachte, nach Abschluss des Medizinstudiums Philosophie und Theologie zu studieren. Schließlich habilitierte sich Beck in Wien in Theologischer Ethik. Sein berufliches Spektrum füllt er ausgesprochen gerne aus. Dazu gehört – auch nach seiner Emeritierung 2022 – Artikel und Bücher zu schreiben oder die Politik zu beraten. Der Theologe, Pharmazeut, Mediziner und Buchautor Matthias Beck war von 2007 bis 2022 außerordentlicher Universitätsprofessor für Moraltheologie mit dem Schwerpunkt Medizinethik. Im Jahr 2011 wurde er zum katholischen Priester geweiht und leitet jetzt die Wiener Pfarrei St. Josef zu Margareten. Eine spannende Biografie.

Matthias Beck sagt, dass Biologie und Theologie keine Widersprüche sind.

Weihbischof Dr. Franz Scharl, der im Namen des Erzdiözese Wien zum Abendessen einlädt.

Der Ort der Tagung: Das Justiz-Bildungszentrum und Bezirksgericht Schwechat.

Die Österreichische Justizwachmusik begleitet den Auftakt der Grußworte musikalisch.


Seine Persönlichkeit kennenlernen

Spannend ebenso seine Inhalte. Immer wieder bringt Beck kirchenkritische Töne in seinen Vortrag. Es gäbe ein Verlust an Spiritualität. „Beim Christentum geht es nicht um die Kirche, sondern es geht um jeden einzelnen Menschen. Jede und jeder von uns ist der Leuchtturm des Heiligen Geistes“, führt er aus.  „Wir geben immer Antworten auf Fragen, die nie gestellt worden sind“, meint Beck. Biblisch hat Jesus Menschen persönlich an-gefragt. Maria Magdalena am Grab: „Warum weinst Du“; Emmausjünger: Warum seit Ihr so deprimiert?“; Fischer am See: „Habt Ihr etwas zu essen?“ In der Gefängnisseelsorge geht es um das Zuhören und Nachfragen. Nicht aus Neugierte, sondern aus echtem Interesse. So kann der Inhaftierte sich selbst besser kennenlernen. Beck führt die  ignatianischen Exerzitien nach Ignatius von Loyola aus. In der ersten Woche geht es dort nur darum, sein Leben anzusehen. In jedem Leben gibt es Dunkelheiten und Verdrängungen. Daraus können Stärken erwachsen. „Jesus Christus ist der Hirte, aber in Rom ist der Oberhirte“, kritisiert Beck. Die Kirche darf keine Gesetzeskirche sein. Das Christentum beruht auf einer grundlegend positiven Ethik. Eine Beziehungsreligion und keine Moralreligion fordert der streitbare Theologe.

Gehört der Seelsorger zu uns?

Als „Containing“ bezeichnet Prof. Dr. Wolfgang Gratz die Tätigkeit der Gefängnisseelsorge. „Einen Ort zu haben, an dem die Grundbedürfnisse gewürdigt werden, ist äußerst wichtig im System. Das gilt auch für die Bediensteten“, sagt der Soziologe. Dies bestätigt ebenfalls der Oberstleutnannt und Anstaltsleiter der Justizanstalt (JA) Asten, Christian Neubauer. Er stellt fest, dass in seiner 26 Jahre langen Strafvollzugserfahrung SeelsorgerInnen in unterschiedlicher Weise von Inhaftierten wie Bediensteten integriert und akzeptiert wurden. „Gehört der zu uns, ist der/die SeelsorgerIn eine/r von uns?“ fragt Neubauer. Dies wird unterschiedlich beantwortet. Zum einen ist es von Vorteil in einer „Planstelle“ zu sein. Zum anderen ist ein Gefängnisseelsorger freier, nicht von der Justiz angestellt zu sein. Dies wird vor allem von den Schweizer Kollegen mit Hinweis auf ihre seelsorgerlichen Verschwiegenheit eingebracht. „Aber als GefängnisseelsorgerInnen sind wir eine Möglichkeit von vielen“, sagt Andreas Beerli. „Aus finanziellen und personellen Mangel könnten wir als SeelsorgerIn schnell durch jemanden ersetzt werden, der beispielsweise eine Ausbildung in systemischer Gesprächsführung hat“, meint der Leiter der Katholischen Gefängnisseelsorge im Kanton Zürich.

Im Tagungsraum der Justizbildungsschule Schwechat, einem ehemaligen Schloss.

Andreas Beerli im Gespräch mit seinem Kollegen und Prof. Dr. Wolfgang Gratz.

Wiener Stadtleben: Den Stephansdom besucht die Gruppe von GefängnisseelsorgerInnen….

Oberstleutnant Christian Neubauer im Gespräch mit Jonathan Werner (JA Garsten).


Ist Spiritual Care ein Weg?

VertreterInnen der evangelisch-reformierten und orthodoxen Kirche sowie ein islamischer Seelsorger sind im Kreis der GefängnisseelsorgerInnen dabei. Sie alle diskutieren auf einem Podium zur Frage von Spiritual Care. Dieser Begriff kommt von der Medizin, Pflege, Psychotherapie und anderen Gesundheitsberufen für die Spiritualität von Menschen. Spiritualität (von lat. „spiritus“: Geist, Atem, Wind) wird nicht nur den Kirchen zugeschrieben. Im Gefängnis sind Menschen, die oft eine „Zufallsangehörigkeit“ zu einer Konfession haben. Michael Fellinger, Leiter der Evangelischen Gefängnisseelsorge in Österreich, plädiert dafür, dass Spiritual Care die Seelsorge nicht ersetzt, aber sie bereichern kann. Jeder Mensch hat ein spirituelle Bedürfnis, auch wenn die größte Population in den Justizanstalten bekenntnisfrei sei, so Fellinger. Sakrales und profanes schließt sich nicht aus. „Gott ist lässt schon an den Orten, bevor ´wir´ kommen“, erläutert Jonathan Werner von der Justizanstalt Garsten. Geht Seelsorge ohne Kirche? „Im Vordergrund steht der Mensch, dem ich begegne“, sagt Andreas Beerli. „Da brauchen wir keine Angst zu haben vor der Säkularisierung. Und: Wir nehmen das an, was da ist“, meint er. Dem entgegnet der katholische Priester im Wiener Gefängnis Josefstadt, Albert Reiner, „dass die religiöse Verwurzelung für Inhaftierte besonders wichtig ist“, so der 52-jährige. Die Seelsorgekonzeptionen sind durchaus unterschiedlich. Das darf auch so sein in einer säkularisierten Gesellschaft.

Michael King

 

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