Freunde treffen, mit Bekannten zusammen ein Eis essen – solche Unternehmungen waren für die Bevölkerung vor der Corona-Krise pure Selbstverständlichkeit. Mittlerweile sind wir nicht nur in unseren sozialen Kontakten extrem eingeschränkt: Corona ist schuld. Um das Virus in den Griff zu bekommen, sind größere Ansammlungen vorerst verboten – was für die meisten Bürger einen schweren Einschnitt bedeutet. Doch wie geht es denen, die sowieso schon weitgehend von der Außenwelt ferngehalten werden? Kein Rauskommen und neuerdings auch kein Reinkommen: Die JVA in Rottenburg streicht, wie alle Gefängnisse, die Besuchszeiten. Der Alltag im Gefängnis ohne die regelmäßigen Besuchszeiten ist eine große Belastung – für Häftlinge und Angehörige.
Der Alltag im Gefängnis ohne die regelmäßigen Besuchszeiten ist eine große Belastung – für Häftlinge und Angehörige. Kamila S. aus Freudenstadt ist so eine Angehörige. Ihr Freund, der auf Wunsch der 21-Jährigen anonym bleibt, sitzt aktuell in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Rottenburg (Kreis Tübingen) ein. “Die Lage ist momentan wirklich schwer. Mein Freund und ich leiden sehr unter der aktuellen Situation”, erzählt sie unserer Zeitung. Seit Mitte März muss das Paar auf die gewohnten Besuche verzichten. Laut Angaben des Justizministeriums in Stuttgart gilt der Beschluss bis zum 19. April – selbstverständlich mit der Option, diesen bei Bedarf auszuweiten.
Hofgänge sowie Arbeit laufen weiter
“Die Lage ist für unsere Gefangenen extrem belastend”, sagt auch der Leiter der Rottenburger JVA, Matthias Weckerle, der nun vor allem danach schaut, dass der Kontakt zur Außenwelt für die Gefangenen nicht völlig zusammenbricht. “Da die Häftlinge Telefonate selbst finanzieren müssen, haben wir die Möglichkeiten hier erweitert”, erklärt Weckerle. So darf etwa Besuchsgeld – zwölf Euro pro Besuch – dennoch von außen eingezahlt werden. “Weiter sind wir daran, Videoanrufe künftig zu ermöglichen und auch der Trennscheibenbesuchsraum steht uns bei dringenden Anlässen zur Verfügung.” Dieser ist sonst für Besuche gedacht, bei denen das Risiko besteht, dass Drogen geschmuggelt werden. Nun soll er in erster Linie den Austausch von Viren vermeiden.
Der normale Gefängnisalltag hinter Gittern wird laut Weckerle in Rottenburg so gut es geht aufrechterhalten: “Wir setzen alles daran, das Leben im Vollzug weiterleben zu lassen.” Und das gelingt bislang. Hofgänge, Sportaktivitäten sowie industrielle und landwirtschaftliche Arbeiten laufen weiter – mit einer Einschränkung. “Wir haben die Häftlinge in acht abgetrennte Gruppen innerhalb der JVA aufgeteilt, um eine mögliche Ausbreitung einzudämmen”, erklärt der Leiter. So gut es geht betreuen auch dieselben Justizvollzugsbeamten die jeweiligen Gruppen. Diese Maßnahmen könnten sich in Rottenburg bereits ausgezahlt haben.
Es gibt kein „Corona-Rabatt“
Am Donnerstag sorgte die Nachricht eines infizierten Häftlings aus dem Wohngruppenvollzug für Hektik bei den Verantwortlichen. Schnell wurde die betroffene Wohngruppe, bestehend aus 30 Gefangenen, in Quarantäne versetzt. Der Erkrankte kam nach Tübingen in die Uniklinik. Am Freitag dann eine mögliche Wendung: Das Justizministerium informierte über erhebliche Zweifel seitens der Klinik am Testergebnis. Doch nur falscher Alarm? In Stuttgart spricht man bis zur Klärung jedenfalls wieder von einem Verdachtsfall. Falls das Ergebnis letztlich doch positiv sein sollte, wäre es der erste Corona-Infizierte in einer baden-württembergischen JVA.
Bei allen Maßnahmen, die die Gefängnisse in Absprache mit dem Justizministerium getroffen haben: Kamila S. ist überzeugt, dass noch mehr getan werden könnte und verweist auf Regelungen in Nordrhein-Westfalen: “Dort werden momentan viele Häftlinge, die Strafen bis zu zwei Jahren absitzen, entlassen.” So sollen in den Strafanstalten Quarantäne-Unterkünfte geschaffen werden. Regelungen, die bereits auch im Land greifen. “Um zu vermeiden, dass das Virus in die Anstalten hineingeschleppt wird und um gegebenenfalls erforderliche Kapazitäten freizuhalten, wurde in Baden-Württemberg ebenfalls mit Erlass vom 13. März die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen für drei Monate aufgeschoben”, erklärt eine Sprecherin des Justizministeriums. Diese Strafe greift bei Verurteilungen zu Geldstrafen, wenn diese nicht gezahlt werden.
Die JVA Rottenburg macht da keine Ausnahme: “Ersatzfreiheitsstrafen und Verurteilungen bis zu sechs Monaten werden teilweise aufgeschoben oder unterbrochen”, sagt Weckerle; betont aber, ebenso wie das Ministerium in Stuttgart und die nordrhein-westfälischen Kollegen, dass es sich hierbei lediglich um einen Aufschub handelt. Die Strafen werden später fortgesetzt oder wie der Justizminister in Düsseldorf, Peter Bisenbach (CDU), klargestellt hatte: “Es gibt keinen Corona-Rabatt.”
Cornelius Eyckeler | Mit freundlicher Genehmigung: Schwarzwälder Bote