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Eine zweite und dritte Chance erhalten können

1. April 2019

Im Religionsunterricht der Liebfrauenschule in Geldern am Niederrhein (ein Berufskolleg des Bistum Münster) hat sich eine Schulklasse mit dem Thema „Schuld und Versöhnung“ beschäftigt, wo es unter anderem um das Schuldigwerden und den Umgang mit Schuld und Sünde und um eine Auseinandersetzung mit den gängigen sowie den theologischen Vorstellungen von „Himmel“ und „Hölle“ ging. Im Rahmen dieser Unterrichtseinheit bekam die Klasse Besuch vom Gefängnisseelsorger Hans-Gerd Paus, der in der JVA Geldern-Pont tätig ist.

Der Gefängnisseelsorger Hans-Gerd Paus erzählte uns Berufsschülern, dass er sich im Gefängnis als Seelsorger „pudelwohl“ fühlt, da er dort wirklich Seelsorge leisten kann. Anders als In der klassischen Gemeinde zuvor, wo er häufig auch Verwaltungsaufgaben übernehmen musste. Zu Beginn informierte Herr Paus uns über die JVA in Geldern. In dem Gefängnis arbeiten ca. 400 bis 500 Bedienstete mit derzeit 700 Langzeitstrafgefangenen, von denen viele eine der 13 möglichen Ausbildungen machen. Die meisten der Inhaftierten Menschen sind um die 35 Jahre alt. Er erzählte uns, dass 60-70% der 700 Strafgefangenen ein Drogenproblem haben.

Herr Paus feiert alle 14 Tage einen Gottesdienst im Gefängnis. An den Gottesdiensten können Menschen anderer Religionen oder „bekenntnisfrei“ teilnehmen. Er erklärte uns, dass der Glaube an Gott und das Leben in den Gesprächen mit einbezogen wird. Mit einigen betet er, mit anderen zündet er eine Kerze an und mit wieder anderen „beerdigt“ er ein verstorbenes Familienmitglied symbolisch durch ein Foto. Hierzu hat der Pfarrer ein Loch in seinem Altar, in den das Foto hinein gelegt wird. Grund hierfür: Die Gefangenen dürfen nicht immer an den Beerdigungen der Angehörigen teilnehmen.

Nicht wenige Strafgefangene finden laut Herrn Paus im Gefängnis zum Glauben. Sie fangen an anders nachzudenken und einige lassen sich sogar taufen und firmen. Doch Herr Paus begleitet nicht nur katholische oder evangelische Menschen, sondern ebenso Muslime oder Juden. Er selber sagt, dass er durch seine Arbeit im Gefängnis viel über andere Glaubensrichtungen und Religionen gelernt hat. Zudem leistet Herr Paus Trauerarbeit, steht in Krisen bei und führt Interventionsgespräche. Ganz viel ist dabei beziehungsstiftende und beziehungserhaltende Arbeit. Zur Trauerarbeit gehört nicht nur der Tod, sondern auch die Unterstützung, wenn Strafgefangene Freunde oder Familienangehörige verlieren, da sich manche abwenden. Sie brechen beispielsweise den Kontakt zu dem Inhaftierten ab, wodurch diese keine Unterstützung mehr von außen erhalten.

Kleider sortieren in der Kammer der Justizvollzugsanstalt.

Weiterhin erklärte er uns, dass er bei Krisen- und Interventionsgesprächen mit Strafgefangenen spricht, die eine hohe Aggressivität gegenüber sich selbst oder anderen haben. Diese versucht er, in Gesprächen zu stabilisieren. Herr Paus hat jedoch keine Angst gegenüber aggressiven Strafgefangenen, da diese auf ihn zugehen und um ein Gespräch bitten. Sobald er jedoch Angst in seiner Berufsausübung bekommen würde, würde er mit seinem Beruf im Gefängnis aufhören. Weiterhin erzählt er, dass er die einzige Person ist, mit denen die Sträflinge frei sprechen können. Denn alle anderen Gespräche werden in Akten aufgenommen. Das wiederum wüssten die Gefangenen sehr zu schätzen. Bei den Krisen-und Interventionsgesprächen entscheidet Herr Paus alleine, wie häufig er mit welchem Gefangenen spricht. Hierbei beachtet er, wie wichtig das Gespräch für den Menschen ist.

In dem beziehungstiftenden und beziehungserhaltenden Bereich hilft Pfarrer Paus den Inhaftierten neue Beziehungen herzustellen und andere aufrecht zu erhalten. Er gibt eine Rückmeldung, negative Beziehungen zu beenden, wenn dies gewünscht wird. Herr Paus sagt von sich selbst: „Mein Handwerk ist mein Mundwerk bzw. es sind meine Ohren“. Denn allein durch sein Zuhören hilft er den Strafgefangenen. Er gibt den Menschen genug Zeit für ihre Gespräche, damit sie sich in Ruhe darauf einlassen können. Deshalb trägt er auch keine Uhr, damit die Gefangenen sich nicht unter Druck gesetzt fühlen. Er bricht die Gespräche ab, wenn er merkt, dass jemand sich nicht mehr konzentrieren kann.

Während seines Vortrages tauchten immer wieder Fragen auf, die Herr Paus gerne beantwortete. Einige fragten ihn, ob er seine Gedanken zur Arbeit nach dem Feierabend ablegen könne. Auf diese Frage antwortete Herr Paus, dass es ihm zu Beginn schwer gefallen ist und er manchmal schlaflose Nächte hatte. Doch mittlerweile gibt es ein Ritual. Alle Bediensteten legen beim Verlassen des Gefängnisses ihren Schlüssel in das Schlüsselfach und lassen somit auch einen Teil ihrer Arbeit dort. Doch ist es ebenso Realität, dass es einige Fälle gibt, die ihm immer wieder durch den Kopf gehen und bei denen es ihm nicht so leicht fällt.

Der Tagesablauf im Gefängnis ist klar strukturiert. Ein Teil besteht aus der Arbeitspflicht bzw. der Teilnahme an Schulungen und dem Absolvieren einer Ausbildung. Damit diese Ausbildungen stattfinden können, arbeitet die JVA mit der Industrie- und Handelskammer zusammen. All das findet auf dem Gefängnisgelände statt, inklusive Abschlussprüfungen. Die meiste Zeit des Tages sind die Gefangenen alleine. Sie haben jedoch eine Stunde am Tag Zeit, sich im Außengelände zu bewegen. Einige haben das Glück, dass sie mit einem anderen Strafgefangenen eine Stunde  einer Zelle verbringen können. Manche nehmen auch an Gruppengesprächen mit Paus teil. Dieses treffen sich in der Woche einmal. Hierbei unterhält sich Herr Paus mit bis zu acht Strafgefangenen über Gefühle, Ängste und Sorgen. Sowohl die Einzel- als auch die Gruppengespräche finden in einer ruhigen und gemütlichen Atmosphäre statt.

Die SchülerInnen waren daran interessiert, wie die Strafgefangenen aus dem Gefängnis „ausbrechen“ können, ob es Stress wegen der unterschiedlichen Nationalitäten gibt und ob viele Strafgefangene versuchen, sich umzubringen. Herr Paus antwortete dies ruhig und gelassen. Das Gefängnis hätte die Sicherheitsstufe Eins, dies entspricht der höchsten Sicherheitsstufe. Er berichtete weiter, dass es bis jetzt keiner geschafft habe auszubrechen, da die Chancen gering sind. So seien gleich mehrere Stahltüren zu überwinden. Aufgrund der verschiedenen Religions- oder Nichtzugehörigkeiten der inhaftierten Menschen gibt es keine Auseinandersetzungen, höchstens auf menschlicher Ebene. Er erzählte, wenn es „dann doch mal“ eine Schlägerei gäbe, würden die einzelnen Strafgefangenen getrennt und es wird ein neues Strafverfahren gegen sie eingeleitet.

Auf die Frage nach der Suizidalität bei Strafgefangenen, antwortete Herr Paus, dass es alle paar Jahre vorkommt, dass es einem Inhaftierten gelingt, sich das Leben zu nehmen. Weiterhin erzählte er, dass die Suizidgefahr kurz vor einer Entlassung deutlich erhöht sei. Grund hierfür sei die Angst vor dem Leben in der Gesellschaft, da sie nicht wissen, ob sie aufgenommen und akzeptiert werden. Auf unser Unterrichtsthema angesprochen, hielt Herr Paus fest: „Die Taten sind abscheulich, doch wir sollten die Täter nicht verurteilen, es bleiben Menschen. Deshalb verurteile ich nicht den  an sich, wohl aber seine Tat.“ Und: „Nach unserem christlichen Verständnis von Barmherzigkeit, das Jesus uns vorgelebt hat, hat jeder Mensch das Recht, um Vergebung zu bitten – und dann auch ein Recht auf eine zweite und auch dritte Chance. Meiner Meinung nach ist die Hölle – wenn wir denn dieses schwierige Wort überhaupt benutzen wollen – leer, denn Gott möchte die Menschen versöhnen. Ich glaube daran, dass es in Gottes Macht liegt, die Menschen zumindest soweit zu versöhnen, dass sie nebeneinander her leben können. Da braucht es also keine Selektion in „Himmel“ und „Hölle.“

Zum Ende hin zeigte uns Herr Paus einen Bündel Kleider aus der JVA. Alle Kleidungsstücke sind mit einer Nummer gekennzeichnet, ebenso wie ein Kleidersack. In den Kleidersack kommt die normale Kleidung, mit der die Menschen in das Gefängnis kommen. Bevor sie auf eine Zelle kommen, müssen sie alle ihre persönlichen Kleidungsstücke hinein legen und sie bekommen ihre Gefängniskleidung zugeteilt. Diese zeigte uns Herr Paus, um mit dem gängigen Vorurteil aufzuräumen, wonach der deutsche Strafvollzug hotelähnliche Züge habe. Diese Kleidung geht von einem Handtuch bis zur Hose und nimmt den Gefangenen jegliche Individualität. Somit haben die Strafgefangenen ein starkes Verlangen nach persönlicher Kleidung. Lediglich ein bis zwei persönliche Kleidungsstücke dürfen die Inhaftierten auf ihrer Zelle haben. Bei ihrer Entlassung erhalten sie ihre persönliche Kleidung zurück, egal ob sie in diese noch hineinpassen oder nicht. Am Ende bedankten wir uns mit einer großen Packung Merci für den sehr persönlichen und beeindruckenden Vortrag über die Arbeit eines Gefängnisseelsorgers. Vieles Gesagte wirkt(e) noch länger in uns nach.

Charlotte Goetzens

 

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