Harald Prießnitz ist katholischer Seelsorger im Justizvollzugkrankenhaus (JVK) Hohenasperg und der sozialtherapeutischen Anstalt Baden-Württemberg. Dort arbeitet er mit Straftätern zusammen, die aufgrund ihres Gesundheitszustands in das Gefängniskrankenhaus verlegt wurden, aber auch mit Inhaftierten, die sozialtherapeutisch betreut werden. In seinem Berufsalltag entstehen täglich Geschichten, die das Leben im Gefängnis so schreibt.
“Bittet, so wird euch gegeben – und ich bitte um Kaffee”, sagt ein Mann in Handwerkerkleidung lachend zu Harald Prießnitz. “Aber natürlich”, erwidert der Seelsorger ebenfalls mit einem Lachen, “da hat aber jemand am Sonntag im Gottesdienst gut aufgepasst.” “Bekommt mein Kollege auch einen? Der ist aber Atheist”, fragt der Mann weiter. Er ist allerdings kein gewöhnlicher Handwerker, wie er so in der Bürotür des Gefängnisseelsorgers steht. Denn er und sein Kollege sind Inhaftierte. Die beiden wurden zur Unterstützung von Umbaumaßnahmen im Nachbarbüro von Harald Prießnitz herangezogen. “Natürlich bekommt er einen Kaffee. Als Atheist aber nur einen ohne Koffein”, scherzt Harald Prießnitz. “Hier gibt es eh nur koffeinfrei”, spricht der Seelsorger dann vor sich hin. Der Inhaftierte ist da schon wieder zur Tür heraus, um seiner Arbeit nachzugehen.
Gesprächsgruppen-Angebot
“Es sind die kleinen Gesten, die hier drin den Unterschied machen”, sagt der Theologe, als er die Tassen mit dem frischen Kaffee auf den Tisch stellt. Dass es nur koffeinfreien Kaffee gibt, hat seinen Grund: Der Hohenasperg beheimatet nicht nur ein Gefängniskrankenhaus, sondern auch die sozialtherapeutische Anstalt. Viele der Inhaftierten im Justizvollzugskrankenhaus bekommen Medikamente, bei denen eine Wechselwirkung mit Koffein ausgeschlossen werden muss. Die Aufgaben des 55-jährigen Seelsorgers sind vielfältig. Gemeinsam mit einer evangelischen Kollegin gestaltet er sonntags den Gottesdienst, auch mit Unterstützung der Inhaftierten. So übernimmt einer der Gefangener den Dienst des Mesners. “Das sind Leute, auf die ich mich auch verlassen kann und ohne die es nicht gehen würde. “Am wichtigsten sind aber die Gesprächsrunden und Gesprächsgruppen, die der studierte Theologe anbietet. Viele brauchen einfach mal jemanden zum Reden. Oft reicht es schon, nur zuzuhören. Was die Inhaftierten bei mir erzählen, wird nicht bewertet und landet in keiner Akte.”
Ehrenamtliche Mitarbeiterin
Echte Freiräume zum unbeschwerten Reden sind im Gefängnis Mangelware. Inhaftierte trauen sich untereinander nur bedingt, das Personal ist aus Gründen der beruflichen Professionalität distanziert und die therapeutischen Gespräche entscheiden unter anderem über die Dauer des weiteren Gefängnisaufenthaltes. Dass Entfliehen nicht funktioniert, dafür sorgt die Sicherheitsschleuse am Eingang. Als Außenstehender fällt es schwer, so richtig zu begreifen, wo die Welt draußen aufhört und die Welt drinnen anfängt. Freundlich und routiniert laufen die Kontrollen und der Einlass in den hell erleuchteten Räumen im Eingangsbereich ab. Etliche Türen werden vor dem Besucher aufgeschlossen und hinter ihm wieder verschlossen. Eine, die sich von dieser Atmosphäre nicht abschrecken lässt, ist Erika Müller. Sie ist seit 20 Jahren ehrenamtlich in der JVA Hohenasperg tätig. Als sie damals als Leiterin einer Firmgruppe in das Gefängnis kam, war sie so fasziniert, dass sie sich hier einbringen wollte. Zunächst betreute sie einzelne Strafgefangene, dann wechselte sie zur Gesprächsrunde und hilft Harald Prießnitz seitdem, diese mitzugestalten.
Sehnsuchtsmotive im Seelsorgebüro
In der Nähe von verurteilten Straftätern fühlt sie sich nicht unwohl: “Ich bin total neutral, ich weiß nicht, was der Einzelne getan hat. Aber als Christin lasse ich Menschen nicht außen vor.” In der Gesprächsrunde geht es an diesem Tag um Künstliche Intelligenz, Klimaschutz und die Zukunft. Die Teilnehmer der Runde schätzen genau das. Hier spielen Glaube und Religion eine eher untergeordnete Rolle. Die Männer können am Gespräch teilnehmen, egal ob oder an was sie glauben. Nur eines ist Voraussetzung: Wer neu mitmachen möchte, muss in die Gruppe passen, denn keiner soll sich unwohl fühlen. Wer sich auf einen Platz in der Gruppe bewirbt, bekommt das von Harald Prießnitz auch so kommuniziert, denn “Gesprächsrunden sind manchmal sehr intensiv.” Das Büro des Seelsorgers, der zuvor lange als Pastoralreferent in Bietigheim-Bissingen gearbeitet hat, schafft eine für ein Gefängnis fast schon gemütliche Atmosphäre. Da es für die Gruppentreffen und Gespräche genutzt wird, hat es einen Tisch mit sechs Stühlen. An den Wänden hängen Fotografien. Ein Bild vom Strand oder von einem Garten – in allen findet sich das Sehnsuchtsmotiv. Die Bücherregale im Büro sind gut gefüllt. Dort stehen theologische Schriften, häufig schon in Doppelreihen, aber auch Unterhaltungsliteratur.
Hoffnung schwebt über allem
“Gerade Harry Potter und solche Sachen werden gerne gelesen”, sagt der Theologe und ergänzt: “Wahrscheinlich, weil es eine Geschichte ist, die gut ausgeht. Das hilft, auf positive Gedanken zu kommen und Hoffnung zu schöpfen.” Hoffnung schwebt hier über allem – das wird besonders im Gespräch mit zwei Freigängern deutlich. Freigang bedeutet den Umzug in eine Art Wohngemeinschaft, die vor der Haftanstalt untergebracht ist. Von dort aus fahren die Männer morgens zur Arbeit und müssen abends wieder da sein. Derzeit wohnen drei Männer im Freigang. Ihr Alltag ist neben der Arbeit vor allem mit bürokratischen Herausforderungen ausgefüllt und auch die Wohnungssuche ist in dieser Zeit eine große Aufgabe. Einer der Männer, André, arbeitet als Koch in der Gastronomie. Er ist ungelernt, Kochen war zuvor nur sein Hobby. Vor seiner Haftzeit war er in der Sicherheitsbranche tätig. “Ich habe den Vorteil, dass ich immer pünktlich Feierabend machen muss”, sagt er mit einem Schmunzeln. Mit seinem Vorleben geht er offen um, auch in Bewerbungsgesprächen: “Ich hatte sogar mal ein Vorstellungsgespräch in der Kantine des Amtsgerichts”.
Gespräche geben Kraft
Zum Glauben kam er schon vor seiner Haft. Als Jugendlicher engagierte er sich in seiner Kirchengemeinde und übernahm daher vor seinem Wechsel in den Freigang das Amt des Mesners in Hohenasperg. Anders war das bei Freigänger Klaus. In seiner Familie spielte Religion keine Rolle, war sogar verpönt. Als er in der JVA Freiburg saß, kam er in den “Gazastreifen”. So nennen die Gefangenen dort den Sicherheitstrakt, in den Inhaftierte kommen, die versucht haben zu fliehen oder Sicherheitspersonal attackiert haben. Dort konnte er nur selten mit jemandem sprechen, bis ein Pfarrer vorbeikam und mit ihm redete. Die Gespräche gaben ihm Kraft. Er besuchte die Gottesdienste im Gefängnis, später auch draußen. Er war in seiner Zeit auf dem Hohenasperg auch Mesner im Gefängnisgottesdienst. Klaus lernte offene und warmherzige Menschen kennen. Eine Erfahrung, die er in seinem Leben bis dahin nicht gemacht hatte. Harald Prießnitz hat Klaus begleitet, als der vor kurzem sogar nach einem Platz in einem Kirchenchor gesucht hat: “Die Chorleiterin meinte, dass wir Christen zum Verzeihen bereit sein sollten. ´Wer, wenn nicht wir?´, hat sie gesagt.”
Benedikt Holl | Katholisches Sonntagsblatt, Diözese Rottenburg-Stuttgart