In einem Schreiben greifen die beiden Kirchen CDU-Chef Friedrich Merz an. Katholische Verbände positionieren sich gegen die Union. Die Kritik spielt der SPD und den Grünen in die Hände. Als Reaktion auf die jüngste Serie von Anschlägen will die Union noch vor der Bundestagswahl Maßnahmen zur Begrenzung der Migration durchsetzen – und nimmt dabei in Kauf, dass das von ihr eingebrachte „Zustrombegrenzungsgesetz“ am Freitag mit den Stimmen der AfD verabschiedet werden könnte. Jetzt kommt Gegenwind von den Kirchen.
Am Abend bekamen alle Bundestagsabgeordneten Post von Prälat Karl Jüsten und Prälatin Anne Gidion, den Vertretern der katholischen und der evangelischen Kirche beim Bund. Die beiden Kirchenleute schreiben: „Zeitpunkt und Tonlage der aktuell geführten Debatte befremden uns zutiefst. Sie ist dazu geeignet, alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu diffamieren, Vorurteile zu schüren und trägt unserer Meinung nach nicht zur Lösung der tatsächlich bestehenden Fragen bei. Die nun vorgeschlagenen Verschärfungen sind nicht zielführend, vergleichbare Taten zu verhindern und tragfähige Antworten auf das öffentliche Sicherheitsbedürfnis zu geben.“
Rhetorischer Wahlk(r)ampf
Besonders kritisch sehen die Kirchenvertreter das Vorhaben, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten zu beenden. Sie verweisen darauf, dass die Familie ein „hohes Gut“ sei, das es zu schützen gelte. Die Vorschläge der Union seien „rechts- bzw. verfassungswidrig“ und würden „die Grundpfeiler der Europäischen Union“ erschüttern, so Jüsten und Gidion. Es stehe zu befürchten, dass „die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt“, wenn die Union sich von dem Versprechen verabschiede, „keine Abstimmungen herbeizuführen, in der die Stimmen der AfD ausschlaggebend sind“. Das Schreiben der Kirchenvertreter ist ein politisches Geschenk für SPD und Grüne. Die Gelegenheit, der Union entgegenhalten zu können, sie verrate das „C“ in ihrem Parteinamen, wird man sich in der parlamentarischen Debatte sicher nicht entgehen lassen.
Flankiert wurde das Schreiben durch einen Kommentar, der auf katholisch.de erschienen ist: „Für Christen wird es immer schwerer, die CDU von Merz zu wählen“, schreibt darin der Jesuitenpater Stefan Kiechle, Chefredakteur der Zeitschrift Stimmen der Zeit. Er fordert einen „Aufschrei“ aus dem Inneren der CDU gegen die aktuelle Entwicklung. Bereits in der vergangenen Woche – aber noch vor dem Anschlag von Aschaffenburg – hatte das „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“, eine Vertretung katholischer Laienverbände, ein Papier mit „politischen Erwartungen im Bundestagswahljahr 2025“ veröffentlicht, das nicht nur in der Migrationspolitik viele Schnittmengen mit linken Positionen aufweist. Doch im Katholizismus regt sich auch Widerstand. Eine Stellungnahme des katholischen Jugendverbands BDKJ sorgte für den Protest einer Mitgliedsorganisation. Am 25. Januar war auf der Instagram-Seite des BDKJ-Bundesverbands zu lesen: „Wenn du deine Pläne nur mit Hilfe von Demokratie- und Menschenfeinden umsetzen kannst, sind deine Pläne vielleicht einfach demokratie- und menschenfeindlich.“
Akt der politischen Emanzipation
Philipp van Gels, Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft katholischer Studentenverbände“, widersprach in einem Offenen Brief: Es zähle nicht zu den Aufgaben eines konfessionellen Jugendverbandes, de facto Wahlempfehlungen gegen eine bestimmte Partei auszusprechen. Die katholische Soziallehre erlaube es zudem, „zu unterschiedlichen Auffassungen in der Migrationspolitik zu kommen“. Verbandsmitglieder, die das Thema aufgrund eigener „moraltheologischer Abwägung“ anders beurteilen, würden durch das Statement des Bundesverbands „vor den Kopf gestoßen“. Der Theologe Ludger Schwienhorst-Schönberger, der 2021 mit dem Joseph-Ratzinger-Preis, dem „Nobelpreis für Theologie“, geehrt wurde, sieht das ähnlich. Die Positionierung der Kirchen in der Frage „stimmt nicht“, sagt er. „Wir sind nicht dazu verpflichtet, allen Menschen Gutes zu tun – ganz einfach deshalb, weil wir es nicht können.“ Das habe schon der mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin im Anschluss an den Kirchenvater Augustinus so gelehrt. Das biblische Gebot der Nächstenliebe gelte, wenn es in die konkrete Tat umgesetzt werden muss, nicht „ohne Maß“. Es sei vielmehr im Sinne der biblischen Ethik, „moralische Vorzugsregeln“ anzuwenden. Weniger theologisch gesagt: Eine stärkere Begrenzung und Kontrolle der Migration muss kein nationaler Egoismus sein, sondern trägt den Grenzen der eigenen Möglichkeiten Rechnung. Gesamte Stellungnahme…
Benjamin Leven | Online-Redaktionsleiter der Zeitschrift Communio
Mit freundlicher Genehmigung: Cicero Magazin für politische Kultur
1 Rückmeldung
Ich glaube wir können nicht mehr ohne weiteres sagen, dass wir in einer liberalen Gesellschaft leben. Wir erleben (nicht erst seit gestern), dass autoritäre Bestrebungen massiv zunehmen. Wir erleben den Abbau von demokratischen Prinzipen und eine immer stärker werdende Bewegung, bei der rechtsextreme oder faschistische Ideologien salonfähig gemacht werden bis in das breite bürgerliche Lager hinein. Rechtsstaatliche Prinzipen werden angefragt oder über Bord geworfen und die Grundüberzeugungen unserer Verfassung werden in Frage gestellt. All das ist nicht über Nacht gekommen, sondern hat sich über viele Jahre angebahnt. Viele haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder die Kontinuitäten des Menschenhasses angesprochen. Sie haben die demokratiefeindlichen Bestrebungen einzelner Personen, politischer Netzwerke oder Parteien benannt und sichtbar gemacht. Oftmals wurden sie einfach überhört, oder sie sind mundtot gemacht worden, oder ihre Worte wurden lächerlich gemacht. Weil ihre Analysen unbequem sind und nicht in die Selbsterzählung der „Wiedergutwerdung“ der Deutschen nach 1945 passen wollten.
Es reicht! Es reicht nicht mehr!
All das hat aus meiner Sicht auch eine Auswirkung auf meine/ unsere Positionierung und auf den Aktivismus! Für mich gesprochen: Mir ist noch einmal deutlicher bewusst geworden, dass reine Lobbyarbeit für queere (und andere „Rand“-) Themen nicht mehr ausreicht. Sie würde ihre Kraft darin verlieren die mühsam erkämpften Rechte der letzten Jahrzehnte irgendwie zu verteidigen. Was jetzt nötig ist, ist echter Widerstand. Es geht wohl um nicht weniger als die Frage: Wie gelingt es uns, nicht in der Ohnmacht zu bleiben? Wie können wir uns an unseren Utopien festhalten? Und wie überleben wir das und mit wem? Wir gehen in den Widerstand – wer kommt mit?