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Bereuen: Nachträglich etwas als Unrecht empfinden

21. Januar 2021

Der 65 jährige A. und seine 27 jährige Partnerin B. beschließen, gemeinsam in A.‘ s Wohnwagen, den er für vorübergehende Aufenthalte und Urlaubsreisen benutzt, zu sterben. A. verteilt daher im Innenraum des Wohnwagens Benzin und entzündet diesen. Der Teppich fängt sofort Feuer und die Flammen breiten sich in kürzester Zeit unkontrolliert aus, sodass eine Flucht aus der Tür des Wohnwagens nicht mehr möglich ist. Zudem greift das Feuer bereits auf den Pkw des A. über, der in unmittelbarer Nähe geparkt ist. In dieser Situation beschließt A., B. und sich zu retten.

Trotz des sich bereits stark ausbreitenden Feuers gelingt es A., das Fenster des Wohnwagens aufzuklappen, B. aus diesem herauszuhelfen und danach selbst zu entkommen. Der Wohnwagen brennt vollständig aus. B. erleidet multiple Verbrennungen. Das Landgericht verurteilt A. unter anderem wegen besonders schwerer Brandstiftung gem. § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB. Gegen das Urteil legt A. Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) ein. Die zentrale Problematik dieses Falles ist die Frage, ob der Tatbestand der tätigen Reue gem. § 306e über seinen Wortlaut hinaus analoge Anwendung findet, wenn kein Brand gelöscht, sondern auf andere Weise die konkrete Lebensgefahr vom Opfer abgewendet wurde.

Ein Wohnwagen auf Rädern stellt ein Kraftfahrzeug i.S.d. § 306 Abs. 1 Nr. 4 dar. Aufgrund der konkreten Gefahr für die Gesundheit der B., ist § 306a Abs. 2 heranzuziehen. Im vorliegenden Fall wandelte sich die konkrete Gefahr der Gesundheitsschädigung sogar in eine konkrete Gefahr des Todes für B. um, sodass der Tatbestand einer besonders schweren Brandstiftung gem. § 306b Abs. 2 Nr. 1 erfüllt war. Hierbei spielt die (fehlende) Fremdheit der Sache keine Rolle. Es fragt sich aber, ob A., der durch die Rettung der B. diese Gefahr letztlich beseitigt hat, wegen tätiger Reue auf Straffreiheit oder jedenfalls eine Milderung der Strafe hoffen kann. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Reue als „tiefes Bedauern über etwas, was nachträglich als Unrecht, als moralisch falsch empfunden wird“ angesehen. Bis heute fehlt es aber an einer Legaldefinition der tätigen Reue.

famos. Der Fall des Monats im Strafrecht. Herausgeber: Prof. Dr. Tobias Reinbacher, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medienstrafrecht, Julius-Maximilians-Universität Würzburg. 

In der Rechtsprechung besteht Einigkeit darüber, dass tätige Reue als „Abkehr eines Täters von einer bereits eingeleiteten strafbaren Handlung und seine aktive Bemühung, etwaigen Schaden zu verhindern“ verstanden wird. Auch wird die tätige Reue als „Rücktritt“ vom beendeten Versuch bzw. von der vollendeten Tat bezeichnet. Die tätige Reue ist allerdings nur für spezielle Fälle im Gesetz geregelt, so etwa im StGB in den §§ 83a, 306e, 314a, 320 sowie § 330b. Vorliegend handelt es sich um Brandstiftungsdelikte der §§ 306-306d, sodass eine tätige Reue nach § 306e in Betracht kommt. Dem Wortlaut nach umfasst diese sowohl das freiwillige selbstständige Löschen des Brandes als auch die Löschung auf Veranlassung des Täters durch Dritte, insbesondere die Feuerwehr, bevor ein erheblicher Schaden entsteht. Die tätige Reue nach § 306e begründet ein Ermessen des Gerichts zur Strafmilderung nach § 49 Abs. 2 bzw. zur Straffreiheit. Eine tätige Reue nach § 306e scheidet hingegen aus, wenn eine gewisse „Geldwertschwelle“ bei Sachschäden überstiegen ist. Hier hat A. allerdings keine Maßnahmen zur Brandlöschung ergriffen, wodurch der Tatbestand des § 306e dem Wortlaut nach nicht erfüllt wurde.

Daher stellt sich die Frage, ob er analoge Anwendung findet, wenn die konkrete Lebensgefahr auf andere Weise beseitigt wird. Für eine Analogie bedarf es sowohl einer planwidrigen Regelungslücke als auch einer vergleichbaren Interessenlage. Eine Planwidrigkeit ist anzunehmen, wenn bei Erlass des Gesetzes bzw. folgenden Änderungen außer Acht gelassen wurde, einen solchen Fall zu regeln. Eine Analogie ist jedoch in zwei Fällen ausgeschlossen. Zum einen, wenn der Gesetzgeber eine Regelungslücke im Gesetz bewusst vorgesehen hat, und zum anderen, wenn das Analogieverbot zulasten des Täters nach § 1 sowie dem inhaltsgleichen Art. 103 Abs. 2 GG greift. Durch dieses Verbot darf das Gericht eine Person nicht wegen – nach dem Gesetz straflosen – Handlungen verurteilen, die es für strafwürdig hält und die einer Strafnorm ähneln, wenn die Handlungen nicht mit den jeweiligen Normen übereinstimmen. Dabei wird auf die äußeren Grenzen der Auslegung und des Wortsinns abgestellt.

Dagegen ist eine Analogie zugunsten des Täters grundsätzlich zulässig. Aufgrund der gebotenen Gerechtigkeit muss der gesetzlich nicht geregelte Fall mit dem bereits geregelten vergleichbar sein. Hier handelt es sich um einen solchen entsprechenden Sachverhalt, da A. die B. gerettet hat. Zwar hat er den Brand am Wohnwagen nicht gelöscht, beseitigte jedoch die konkrete Gefahr für das Leben der B auf andere Weise. Da das Verhalten des A. nicht von § 306e umfasst ist und auch sonst nicht im Gesetz geregelt wurde, bestehen eine Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenslage. Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob § 306e über seinen Wortlaut hinaus analoge Anwendung auf solche Fälle findet, in denen kein Brand gelöscht wurde. Dies wird im Schrifttum jedoch nicht einheitlich beantwortet.

Aus: famos, Prof. Dr. Tobias Reinbacher, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medienstrafrecht 

 

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