Unter der Überschrift “Schmerzen lindern, Selbsttötung regeln, Rausch gestatten” veröffentlichte die Legal Tribune Online einen Gastbeitrag von Prof. Dr. Oliver Tolmein. Darin heißt es, dass der Gesetzgeber nun in einem neuen Betäubungsmittelgesetz sich widersprechende Schutzgüter zusammenführen muss. Zwei Jahre ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Recht auf selbstbestimmtes Sterben anerkannte. Am 26. Februar 2020 erklärte der 2. Senat des BVerfG das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig.
“Während das Betäubungsmittelgesetz früher vor allem den Schutz der ‘Volksgesundheit’ bezweckte, wird es in Zukunft mehrere sich teils widersprechende Zwecke erfüllen müssen. Eine heikle Arbeit für den Gesetzgeber, analysiert Oliver Tomein.” Vor zwei Jahren (2020) gab es das Urteil zur Sterbehilfe, seitdem hat sich in der Gesellschaft einiges verändert. Mittlerweile gibt es Sterbehilfevereine, die geschäftlich ihre Hilfe beim Suizid anbieten. Seit dem 124. Ärztetag ist Ärzten eine Hilfe zur Selbsttötung nicht mehr untersagt. Auch die Justiz hat sich mit der Suizidbeihilfe beschäftigt: Der Beschwerde eines Inhaftierten wurde stattgegeben. Der zu zwei lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilte Strafgefangene hatte eingefordert, sich aufgrund seiner “perspektivlosen Haftsituation” geeignete Medikamente verschaffen zu dürfen, um sich das Leben zu nehmen. Seit 35 Jahren saß er ununterbrochen im Gefängnis und nahm dies als unerträgliches Leiden wahr. (s. BVerfG 2021)
Wert des Lebens
Die Frage, ob wir aktiv am Tod eines anderen Menschen mitwirken dürfen, auch wenn er sich dies wünscht, ist nur oberflächlich eine strafrechtliche. Sie sprengt den Rahmen der staatlichen Regulierungsmöglichkeiten, denn sie berührt im Wesentlichen unsere Einstellung zur Würde des Menschen; ihre Beantwortung ist auf das Engste verknüpft mit unserem grundlegenden Menschenbild. Der Wert, den wir dem Menschen und seinem Leben zumessen, auch dann, wenn es leidvoll ist und sich dem Ende zuneigt, sollte – für Befürworter wie Gegner gleichermaßen – der Ausgangspunkt jeglicher Überlegungen bezüglich der Sterbehilfe sein.
Recht auf Rausch?
Die vorliegenden Gesetzentwürfe aus der 19. und aus der aktuellen 20. Legislaturperiode, die Rahmenbedingungen für Suizidassistenz schaffen wollen, sehen auch jeweils Änderungen des BtMG vor. Doch der grundsätzlichen Problematik, wie die Freigabe von hochgefährlichen Betäubungsmitteln zum Zweck der Selbsttötung legalisiert werden soll, widmen sich die Entwürfe eher pflichtschuldig. Im Artikel wird hinterfragt, warum der Staat im Sinne des selbstbestimmten Sterbens Menschen ermöglichen will, sich den gefährlichen Wirkstoff Natriumpentobarbital mit tödlicher Wirkung zu beschaffen, nicht aber die vergleichsweise harmlose Droge Cannabis. Dies scheint in vieler Hinsicht begründungsbedürftig. Gibt es ein “Recht auf selbstbestimmtes Sterben”, aber kein “Recht auf Rausch”? Kann der Eigenanbau eines Medikamentes wie Cannabis als Verbrechen gewertet werden, z.B.. wenn PatientInnen kein Geld haben, um es sich legal zu beschaffen?
„Wenn sich der Gesetzgeber also daran setzt, das BtMG zu reformieren, sollte er das Gesetz insgesamt in den Blick nehmen und sich damit befassen, dass es seinen Charakter in den letzten Jahren gewandelt hat: Das traditionelle Rechtsgut “Volksgesundheit” wird dabei gegen die neuen, grundrechtsbasierten Rechtsgüter auf selbstbestimmtes Sterben, auf selbstbestimmten Konsum und auf körperliche Unversehrtheit ein Stück zurücktreten müssen“, so Prof. Dr. Oliver Tomein. Kann es ein neues BtMG geben, das mit den Grundrechten konform geht? All diese Fragen beleuchtet der Artikel. Den vollständigen Artikel finden Sie hier…
Rechtsanwalt Prof. Dr. Oliver Tolmein hat die Kanzlei Menschen und Rechte mitbegründet. Er ist Fachanwalt für Medizinrecht und Honorarprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen und vertritt auch Patienten, denen Cannabis verordnet wird vor Sozialgerichten und in Strafverfahren.