Als ich vor einiger Zeit in einem Gefängnis hospitiert habe, da habe ich einige Gefangene kennen gelernt, die so genannte “Ersatzfreiheitsstrafen” abgesessen haben. Sie sind oft wegen geringer Delikte wie das Schwarzfahren, Fahren ohne Führerschein etc. zu Geldstrafen verurteilt worden. Die sind oft nicht allzu hoch: Mehrere hundert bis ein- zweitausend Euro. Dennoch zu viel für sie.
Und dann gehen sie ersatzweise ins Gefängnis. Mit jedem Tag dort verringert sich die Höhe der Strafe, manchmal fünf, zehn oder fünfzehn Euro werden pro Tag abgezogen. Manchmal versucht die Familie, währenddessen das Geld aufzutreiben und so die Zeit im Gefängnis zu verringern. Meistens ohne Erfolg. Dem Staat kostet die Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt etwa 130 Euro pro Tag. Ganz abgesehen davon, was hinter Mauern an kriminellen Geschichten dazu gelernt werden kann.
Erbarmen und Geduld
Womit wie beim Evangelium wären. Jesus erzählt wieder mal eine Geschichte, um etwas deutlich zu machen: Ein königlicher Beamter hat eine unvorstellbare Summe Geld veruntreut. 10000 Denare, das wären heute hunderte Millionen von Euro. Der König will ihn ins Gefängnis werfen, seine Frau und die Kinder verkaufen, um wenigstens symbolisch die Schuld zu tilgen. Da bittet der Beamte um Erbarmen und Geduld. Und er bekommt beides, und zwar mehr als er erwartet: Der König erlässt ihm alles tutti kompletti und schenkt ihm die Freiheit. Unfassbar. Da begegnet der Beamte einem Kollegen. Von dem bekommt er noch 100 Denare, eine vergleichsweise lächerliche Summe. Und was macht er mit seinem Kollegen, als der ebenfalls um Erbarmen und Geduld bittet? Das Gegenteil des Königs. Er lässt ihn ins Gefängnis werfen. Was widerum den König in Zorn versetzt. Und er widerruft seinen Schuldenerlass. “Gib doch das Erbarmen, dass du selbst empfangen hast weiter!”
Provokativ großherzig
Vollkommen egal, was der Mensch getan hat: Jesus blickt anders auf ihn. Und zwar so, wie ich es selbst – der Staat, die Kirche – oft nicht schaffe. Nämlich provokativ großherzig. Vor Gott wird er niemals seine Würde verlieren. Provokativ großherzig: Das werde ich selbst niemals schaffen. Jedenfalls nicht immer. Aber immer öfter. Mit dem Evangelium aber ist der Gedanke in der Welt. Das betrifft nicht nur Gefängnisse. Die aber auch. Nicht nur die Kirche. Die aber besonders. Und verändert sie, dreht sie ins Licht, Schritt für Schritt. Da kannst du nichts gegen machen.
Peter Otten | Köln