Bundes-Justizminister Marco Buschmann wollte zum 1. Oktober 2023 die Haftzeit für Menschen halbieren, die wegen Armut im Gefängnis sitzen. Wegen IT Problemen in Bayern wurde diese Reform jetzt bundesweit um 4 Monate verschoben auf den 1. Februar 2024. Das heißt, dass von Armut betroffene Menschen entgegen dem Gesetz jetzt doppelt so lange ins Gefängnis müssen. Was für eine Bankrotterklärung für die deutsche Justiz!
Deshalb fordert eine Petition der Initative Freiheitsfonds und der ehemalige Anstaltsleiter Dr. Thomas Galli, dass es Begnadigungen für alle betroffenen Menschen zur Weihnachtsamnestie geben soll. Rechtsanwalt und ehemaliger Gefängnisleiter Dr. Thomas Galli dazu:
„In den 15 Jahren, die ich in der Gefängnisleitung gearbeitet habe, haben mich die Ersatzfreiheitsstrafen am meisten schockiert. Hilfsbedürftige Menschen werden hier von ihren Familien getrennt, verlieren ihre Jobs und Wohnungen und ihre Lage verschlimmert sich durch die Haft auf allen Ebenen. Viele denken an, oder begehen sogar Selbstmord. Vor Allem die Weihnachtszeit und die Trennung von Familie ist für die zu unrecht Inhaftierten die traurigste Zeit des Jahres. Da werden Mütter von ihren jungen Kindern getrennt, weil sie sich das Straßenbahn Ticket nicht leisten konnten. Dass die Bundesländer diese Menschen jetzt noch länger inhaftieren, weil die Bayerische-IT die Ersatzfreiheitsstrafen nicht durch zwei teilen kann ist ihre endgültige Bankrotterklärung. Deshalb fordern wir Gnadenerlasse! Lasst alle Menschen frei, die bis zum 1. Februar 2024 eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen sollen – und zwar JETZT!“
Halbierung führt am eigentlichen Problem vorbei
Rund 56.000 Menschen müssen jedes Jahr für minimale Armuts-Vergehen ins Gefängnis – z.B. weil sie Tickets für Bus und Bahn und die folgenden Geldstrafen nicht bezahlen können. Dieses System der Ersatzfreiheitsstrafen trifft vor allem arme, kranke und obdachlose Menschen, die statt Gefängnisaufenthalten eigentlich staatliche Unterstützung benötigen. Sie sitzen vor allem wegen der ungerechten Verteilung von Wohlstand hinter Gittern. Selbst die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafen per Reform führt auch am eigentlichen Problem vorbei, weil die Menschen ja immer noch aus ihren sozialen Beziehungen gerissen werden, nur eben halb so lang.
Trotzdem droht ihnen z.T. der Verlust von Arbeit, Wohnung, oder Therapieplatz, weil sie z.B. das Ticket zum Arzt nicht bezahlen können. Der verursachte „Schaden“ liegt hier oft bei wenigen Euro und die Kosten für diese ungerechten Strafen für die Steuerzahlenden liegen bei mehreren hundert Millionen Euro pro Jahr. Im Gegensatz dazu müssen Manager für Betrug und Skandale oftmals gar nicht ins Gefängnis und den Preis zahlt die gesamte Gesellschaft. Dieses System von Klassenjustiz ist massiv ungerecht und Begnadigungen sind das Mindeste. Das durch Begnadigungen gesparte Geld könnte z.B. für günstigeren öffentlichen Nahverkehr, mehr soziale Arbeit, oder gegen Kinderarmut eingesetzt werden.
Wer kann hier was tun?
Die JustizministerInnen einiger Bundesländer machen jedes Jahr zu Weihnachten Gnadenerlasse. Wir fordern jetzt diese auszuweiten und alle Menschen, die von der verlängerten Ersatzfreiheitsstrafe betroffen sind, so schnell wie möglich zu begnadigen. Wir haben solche Begnadigungen bei Justizministerien der Länder angefragt. Die häufigste Antwort: das sei “zu viel Arbeit”! Erst machen sie ihre Arbeit nicht, was die IT angeht, und jetzt ist ihnen das zu viel? Wofür sind die Justizministerien sonst da? Die Leidtragenden sind die zu Unrecht Inhaftierten. Wenn die Begnadigung Arbeit macht, dann ist das eben so. Jeden Tag nach dem 1. Oktober 2023, an dem diese Menschen im Gefängnis sitzen, ist ein Tag zu viel! Das ist nur der Anfang, danach müssen auch die Ersatzfreiheitsstrafen insgesamt und die Kriminalisierung von Armut generell abgeschafft werden.
Quellen
- Bayerns Justizministerium hat Software-Probleme: Häftlinge länger im Gefängnis , Süddeutsche Zeitung
- Nagrecha, M. 2023: Bündnis zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, 17. April 2023
- Gnaden-Erlasse der Landesjustizministerien: Zu Weihnachten kommt man früher aus dem Gefängnis, zu Ostern nicht, Frag den Staat
- Justice Collective: IT-Versagen der Regierungen darf nicht zu Lasten der Gefangenen fallen
- Galli, T. 2022: “Weggesperrt. Warum Gefängnisse niemandem nützen”
- Steinke, R. 2022: “Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich!”