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Perspektivwechsel: Kirche Kopf über. Trotzdem Zugang bauen…?

18. Mai 2023

Das rote Haus „Kopf-über“ steht in Putbus auf der Insel Rügen und auf der Insel Usedom findet man ein ähnliches Haus in blauer Farbe. Die Bauten stellen eine ungewöhnliche Herausforderung für die Sinne des Menschen dar. Als Gesamtkunstwerk verwirrt das Bauwerk. Nichts ist wie es scheint im „Haus-Kopf-Über“. Mit diesen und ähnlichen Gedanken lädt die ungewöhnliche Idee BesucherInnen ein, sich auf einen grundlegenden Perspektivwechsel einzulassen. Wäre es nicht an der Zeit, einen solchen radikalen Perspektivwechsel in der Kirche vorzunehmen? Ungewöhnlich Neues, radikales Umdenken, horizonterweiternde Blickwinkel einzunehmen?

Das Haus ist umgekehrt. Unbewohnbar, aber immerhin besuchbar. Wäre es ein Bild für die Katholische Kirche? Die scheibchenweise unabhängigen Missbrauchsgutachten einzelner Bistümer bringen es immer wieder an den Tag. Da ist nichts mehr wie es war. Würdenträger fallen reihenweise vom Sockel. Vertuschung, Verschweigen und Scheinheiligkeit stehen im Vordergrund. Trotz allem wird versucht zu beteuern, wie sehr sich die Amtskirche jetzt bemüht, Aufklärung zu leisten. Präventionsschulungen, hartes Durchgreifen nach öffentlichem Druck, Dienstordnungen werden geändert und Entschuldigungen ausgesprochen. Doch die gewohnte Ordnung des Hauses steht Kopf. Es lässt sich Nichts so einfach umdrehen, und wohin letztlich sollte „ES“ sich drehen? Auch wenn es immer wieder Versuche gibt, das Kirchenhaus umzubauen und es scheinbar neue Zugänge geben soll. Ein neuer Treppenaufgang: Alles nicht so schlimm, nicht alle sind Täter? Die Bischofskruft im St. Paulus Dom in Münster wird geschlossen. Es könnten Täter oder Mittäter unter den verstorbenen Bischöfen sein. Im Erzbistum Freiburg gibt der ehemalige Erzbischof alle seine Auszeichnungen zurück: Sein Bundesverdienstkreuz für ein würdevolles Leben.

Zugangstreppe für das Haus „Kopf über“ auf der Insel Rügen. Foto: Hartmann

Amtskirche nicht reformierbar?

Das Haus „Kirche“ hat schon lange verspielt. Es ist unglaubwürdig geworden. Und das ist nicht einfach über Nacht passiert. Schon Jahre gärt und rumort es in internen Kreisen. Viele wollen dieser sog. Glaubensgemeinschaft nicht mehr angehören und treten aus. Andere haben sich innerlich bereits leise verabschiedet. Beim Reformprojekt Synodaler Weg zur Zukunft der Katholischen Kirche in Deutschland hat Lukas Färber zur Gruppe der Teilnehmer unter 30 Jahren gehört. Aktuell bekennt er seinen Austritt aus der Katholischen Kirche. Mit vielen habe er für Reformen gekämpft, schreibt Färber. „Uns verband das von vornherein unrealistische Ziel die systemischen Ursachen sexualisierter Gewalt zu zerschlagen.“ Für ihn sei es vor allem eine Ohnmachtserfahrung, so Färber. „Am Ende des Synodalen Weges standen einige wenige gute Texte, viel zu viele weichgewaschene ‚Kompromisse‘ – oder eher: Kapitulationen? – und vor allem: keinerlei Verbindlichkeiten.“ Ihm sei bewusst geworden, „dass diese Amtskirche kaum reformierbar ist“. Nicht zuletzt hätten persönliche und indirekte Diskriminierungserfahrungen dazu beigetragen, dass er sich mehr und mehr von der Kirche distanziert habe. Dazu gehörten Gespräche mit Bischöfen und anderen Klerikern, aber auch Kommentare und Zuschriften konservativer Katholiken.

Nicht theologisch erklärbar

In der Vergangenheit haben viele KatholikInnen der Kirche den Rücken gekehrt. Darunter sind pastorale MitarbeiterInnen und Priester, die eine Lösung bei der altkatholischen oder der evangelischen Kirche suchen. Die Amtstheologie, die Sexualmoral, der Zölibat und die Nichtzulassung von Frauen zu den Ämtern sind strukturelle Problematiken, die sich nicht theologisch erklären lassen. Hier und da gibt es Predigerinnen-Tage, „LaieInnen“, die die Gemeindeleitung übernehmen oder die taufen „dürfen“. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass Klerikalismus und hierarchische Strukturen vorherrschen. Engagierte, gläubige KatholikInnen gehen weg. Zurecht. Sie brauchen es nicht begründen. Ob es überhaupt noch Gründe gibt in dieser oft mit sektiererischen Tendenzen und Missbrauchsskandalen behafteten Kirche zu bleiben?

Das Haus steht Kopf. Es hat aber ein solide systemerhaltendes Fundament von konservativ Denkenden. Machterhalt ist das Thema. Die universelle „Weltkirche“ wird angeführt. Es sei ein zentriertes deutsches und europäisches Problem. WER traut sich, die HERRSCHENDEN  Strukturen anzutasten geschweige sie ganz und gar auf-den-Kopf-zu-stellen? Ernsthaft-spielerisch weiter gedacht könnte es bedeuten, das Unten der Hierarchie nach Oben zu stellen? Aber auch das wäre nur eine denkbare Variante. Hatte nicht Einer, der sich Jesus nannte, der für Gründung und Ursprung der Kirche steht, diese als eine kreisrunde demokratische Struktur auf Augenhöhe gedacht?

Michael King

Hintergrund

Das Haus-Kopf-über ist ein „Auf dem Kopf stehendes Haus“, ein auf seinem Spitzdach stehendes Gebäude. Das Haus entstand in Putbus auf Rügen und wurde im Juli 2010 eröffnet. In der äußeren Gestalt eines typischen Einfamilienhauses wurde ein 12 Meter langes, 10 Meter breites und 12 Meter hohes Gebäude errichtet. Es berührt nur mit einem Teil seines Dachfirstes den Boden, darüber erheben sich in umgekehrter Reihenfolge die Geschosse des Gebäudes. Oben befindet sich die Bodenplatte, die als Aussichtsplattform dient. Um die Statik des Bauwerks zu gewährleisten, wurde ein Stahlskelett von 35 Tonnen Gewicht eingebaut. 

Das Haus ist im Inneren vollständig eingerichtet, wobei auch hier alle Gegenstände auf dem Kopf stehen. Möbel wie Stühle, Schränke, Tische und Bett, aber auch Dusche und Toilette hängen somit kopfüber vom Fußboden. Da das Gebäude auch leicht horizontal und vertikal geneigt ist, wird der Gleichgewichtssinn der Besucher irritiert. Das Haus ist aufgrund seiner Möblierung nicht bewohnbar, kann allerdings beheizt werden. Die Betreibung erfolgt durch die Pirateninsel Rügen GmbH. Ein ähnliches Gebäude wurde bereits 2008 in Trassenheide auf Usedom errichtet. 

 

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