Zu tausenden sind sie auf den Straßen: Schülerinnen und Schüler, die auf die bedrohliche Klimaerwärmung hinweisen und aufbegehren gegen die Verschmutzung der Natur durch Plastik und Abgase. Es ist ihnen ernst und sie sind ernst zu nehmen. Sie folgen einem Idol, einer jungen Frau aus Schweden, die den Protest initiiert hat und nun wie eine Heldin von manchen Politkern und Medien verehrt wird.
Mich erinnern die Freitagsdemos ein wenig an die biblische Szene vom Einzug Jesu in Jerusalem. Auch das war für viele eine Art Triumphzug für einen Volkshelden, der bei den Menschen große Erwartungen ausgelöst hatte und auf den sich viele Hoffnungen auf Besserung richteten. Mancher sah in dem Mann aus Galiläa einen Propheten, einen nationalen Retter. Sie jubelten ihm zu, winkten mit Palmzweigen, dem Symbol zur Huldigung von Königen, und priesen ihn mit Hosanna-Rufen und lautem Jubel. Es geht mir jedoch nicht darum, die jugendliche Klimaschützerin Greta aus Schweden zu einem weiblichen Messias zu machen, indem ich sie mit Jesus von Nazareth vergleiche. Auch möchte ich nicht falsch verstanden werden, als hielte ich den Beifall, den sie von den Schülerinnen und Schülern bekommt, nur für ein kurzes Strohfeuer, dem vielleicht bald die Enttäuschung folgt.
Ich möchte jedoch daran erinnern, dass unsere Gesellschaft und auch unsere Kirche von Zeit zu Zeit echte Propheten braucht, die auf Missstände und Fehlentwicklungen hinweisen, und die Lösungswege vorschlagen – auch wenn diese nicht auf ungeteilte Zustimmung aller stoßen, oder wenn die beschrittenen Wege, etwa das Schuleschwänzen, höchst zwiespältig zu bewerten sind. Fehlen unserer Gesellschaft und auch unserer Kirche oft nicht Vorbilder, die begeistern, die für eine Idee und Perspektive stehen, für die es sich lohnt, sich einzusetzen?
Nichts brauchen wir weniger als Führer, die uns für dumm verkaufen oder denen wir blind folgen. Aber unsere Gesellschaft und unsere Kirche leben von Vorbildern, die für uns wertvoll sind, weil sie werte-voll leben, verlässlich und bescheiden, an denen wir uns reiben können , von denen wir vor allem lernen können. Der Beginn der Karwoche mit dem Einzug Jesu in Jerusalem ist ein guter Anlass, dabei über unsere heutigen Propheten und Vorbilder und ihre Botschaften nachzudenken.
Erzbischof Dr. Heiner Koch | Berlin