“Wer weiß, wozu es gut ist…” sagt ein Freund, wenn etwas anders gelaufen ist, als erhofft. Und so läuft es im Leben öfter, was wohl mehr mit unserer Art der Wahrnehmung zu tun hat als mit dem Leben an sich. Denn wir betrachten nun mal das, was geschieht, aus den Perspektiven unserer Planung, Erwartung und Hoffnung, während das Leben einfach macht, was es will. Schicksal mögen wir es nennen, oder auch Fügung.
Als die Menschen endlich auf dem Weg in das verheißene Land waren, „ließ sie Gott einen Umweg machen, der durch die Wüste zum Schilfmeer führte“, so erzählt es die Bibel im Buch Exodus und lässt dann den weiten, durch viele Schwierigkeiten gegangenen Weg, zu dem Werden, auf den Gott selbst geführt hat, um sein Volk zu befreien.
Weg als Fügung annehmen?
Des Lebens Wege als Fügung annehmen, obwohl sie doch die eigenen Wünsche und Planungen durchkreuzen, dafür steht die Zeit des Advents: Weihnachten ist nicht sofort, erst muss über Wochen hinweg behutsam eine Kerze nach der anderen entzündet werden – oder, anders gesagt: Menschwerdung braucht diesen Weg durch die Dunkelheit. Wirklich tragfähiger Glaube macht sich nicht fest an einem außerirdischen Ideal, sondern will als innere Kraft erfahren werden, Schritt für Schritt auf dem Weg durch die Wüste. Besonders die ältesten Schriften der Bibel sind Zeugnis für diesen Weg des Glaubens in ihrer bunten Vielfalt, den Widersprüchen, den Auf- und Abbrüchen, dem Siegen und Scheitern; es sind Wegerfahrungen im Sowohl-als-auch von Hell und Dunkel, die nicht festmachen wollen, sondern ermutigen, den Weg weiterzugehen.
Ärgernis sind die Menschen, die verurteilen
Auch Johannes, dieser Prophet des Advents, rief die Menschen in die Wüste. Er wandte sich besonders an sie religiösen Führer seiner Zeit, die fest geworden waren in ihren machtvollen Wahrheitsansprüchen, und er war dabei nicht zimperlich: „Ihr Schlangenbrut… kehrt um!“ schmetterte er ihnen entgegen. Das größte Ärgernis in der Religion sind nicht Menschen, die auf Abwege gekommen und sündig geworden sind, sondern die, die andere deswegen verurteilen und sich selbst als alleinige Besitzer göttlicher Richtergewalt verstehen – Jesus hat sie „Heuchler“ genannt.
Die biblische Botschaft ist deutlich: der Weg des Glaubens führt nicht über eine erhabene Brücke zu Gott, sondern auf dem Umweg unten durch all das widersprüchliche Auf und Ab der Wüsten des Alltags – und erst da, auf diesem Weg erschließt sich aus allem behutsamen Suchen und Fragen, wie Gott eigentlich ist: menschlich und liebend geworden. Wer sich an irgendeiner Stelle dieses Weges festmacht und sagt: nun weiß ich endlich, wie Gott ist, der muss, will er wirklich glaubend sein, umkehren, wieder neu aufbrechen und in die Wüste gehen. Gott ist nicht eine feste Burg zum Absichern und sich behaupten, Gott wird vielmehr erfahrbar im ungeschützten Dasein: “Zieh deine Schuhe aus, denn da, wo du bist, ist heiliger Boden”, hat er dem Mose am brennenden Dornbusch in der Wüste gesagt.
Tun, was gerade dran ist
Barfuß Leben spürend auf den Umwegen und durch so manche Wüste gehend im Vertrauen, auf diesem Weg nicht verloren zu gehen, weil Gott selbst geheimnisvoll durch alles hindurch tragend da ist – das ist Glauben. Und er vollzieht sich meist völlig unbemerkt, jenseits vom Rampenlicht der Öffentlichkeit in der Banalität des Alltags: still wird einfach gelebt, worauf es eigentlich ankommt. Jenseits vom Erhabenen, vom Erwählt-sein und der großen Tat gehen Menschen ganz selbstverständlich ihren Weg, sie tun, was gerade dran ist, ohne dafür besonders angesehen zu werden und womöglich auch gegen den Trend; sie handeln schlicht nach ihrem Gewissen. In der Kraft des Trotzdem verweisen sie in der Banalität des Alltags darauf, weswegen dieser mit allen seinen manchmal mühsamen Umwegen sich dennoch lohnt: es ist der Weg der Menschwerdung, den kein Geringerer als Gott selbst gegangen ist. Und ja, oft mag es wirklich kaum einleuchten, warum es denn nun so gehen muss wie es gerade geht – vielleicht hilft dann dieses behutsame sich öffnen im „wer weiß, wozu es gut ist“.
Christoph Kunz