Wolfgang Mayer ist einer der gerne lacht. Laut und herzlich. Ebenso leidenschaftlich ging er tagtäglich zu seinem Dienst als Gefängnisseelsorger in die JVA Ulm. Da ist es nicht erstaunlich, dass ihn der letzte Arbeitstag mit Wehmut begleitet. Fast 30 Jahre führt Wolfgang Mayer seinen Dienst hinter Mauern aus. Mit seinem rollenden R in seiner Aussprache überzeugt er viele KollegInnen auf Bundesebene. Prägnant in seiner Argumentatation streitet er gerne auf Augenhöhe und den Menschen zugewandt. Mit viel Empathie und einer großen Portion Humor.
Mit roten Strichen ist das Schild der Justizvollzugsanstalt Ulm neben Wolfgang Mayer durchkreuzt. Für ihn ist der Arbeitsort jetzt Geschichte geworden. Er gibt seine Knast-Schlüssel in andere Hände. Die Geschichten, Begegnungen und vor allem die Gespräche mit Inhaftierten und Bediensteten nimmt er mit. Als Schlüsselträger gehört er zu den Bediensteten. Den Zugang zu den Menschen hinter den Mauern fand er stets. Nach 29 Jahren und 4 Monaten wegen guter Führung und bei einigermaßen Zuversicht versprechender Sozialprognose entlassen. Er selbst berichtet über diesen Moment:
Offen gesagt: Das Bild täuscht. Es ist ein bisschen irreführend. Natürlich habe ich jetzt, wie man sagt, gut lachen. Andererseits verspürte ich besonders in den letzten Tagen vor dem Weggehen eine ganz gewaltige Portion Wehmut. Schon bei meiner offiziellen Verabschiedung am 10. Dezember bekam ich vom Anstaltsleiter, von meinem Dekan Peter Holzer und von Kollege Hubertus Mayer (JVA Heilbronn) ausgesprochen detailliert sehr viel Wertschätzung, beim anschließenden gemütlichen Plausch bei Häppchen und Getränken sagten mir die eingeladenen Gäste im persönlichen Gespräch, wie sie mich wahrgenommen und was ich ihnen bedeutet hatte. Das hat mich wirklich tief berührt. Dass ich – salopp formuliert – einen insgesamt guten Job gemacht habe, davon bin ich schon ausgegangen. Aber dass ich vielen Menschen im Gefängnis so viel bedeutet habe, auf so viele unterschiedlichen Weisen, und zwar Bediensteten wie Gefangenen, das hat mich dann doch umgehauen.
Ich glaube, das Wesentliche in den drei Jahrzehnten war überhaupt nicht, was ich „Großes“ „gemacht“ habe. Natürlich: Die Rückmeldungen zu meinen Gottesdiensten waren ausgesprochen positiv, ich konnte damit offenbar die Menschen ansprechen. Und als Gesprächspartner habe ich sicher vieles zielsicher auf den Punkt gebracht Aber ich glaube, das Wesentliche war, dass ich ein Herz hatte für meine Kundschaft, egal ob Gefangene, uniformierter Dienst, Fachdienste oder Anstaltsleitung. Und dass ich meine Arbeit mit Freude, mit Leib und Seele, mit Herz und Hand gemacht habe, ganz authentisch, eben auf meine ganz persönliche Art. Offen und ehrlich, geradeheraus, und sehr häufig mit viel Humor. Wie ich halt bin. Wer mich kennt, weiß, was ich meine.
Zu meinem Abschied habe ich unzählige Male gesagt bekommen, dass den Menschen genau das besonders wichtig war. Ich weiß, dass ich vielen „meiner Männer“ fehlen werde, auch vielen KollegInnen der unterschiedlichen Dienste. Aber auch mir fehlen viele „meiner Männer“ und viele KollegInnen der unterschiedlichen Dienste. Mir fehlt die Freude, den Menschen vieles geben zu können, was sie brauchen, worüber sie sich freuen und womit sie was anfangen können. Mir fehlt nach meinem Weggehen die viele Wertschätzung, die ich deshalb immer wieder bekommen habe. Deshalb ist das Foto ein bisschen irreführend. Es zeigt den frohen und unbeschwerten Wolfgang, der jetzt nicht mehr täglich belastet wird mit schweren und dunklen Dingen. Und der sich darüber freut.
Aber es verschweigt den Wolfgang, der auch Wehmut verspürt, eine Art „Heimweh“. Ganz gewiss bin ich zum Jahresende erfüllt gegangen, mit tiefer Dankbarkeit für unendlich viele wertvolle Begegnungen, auch dafür, dass oft viel Freude und Spaß und Blödelei mit dabei war, und so weiter und so fort. In den nächsten Wochen werde ich also eine Art inneren Abschied feiern müssen, und mich dann der Zukunft zuwenden. Ich bin absolut zuversichtlich, dass ich das hinkriege. Euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünsche ich ganz viel Gutes und Erfreuliches auf Euren persönlichen Lebenswegen. Behüte Euch Gott, Adieu, Gott Befohlen!
Wolfgang Mayer | JVA Ulm