Die Studientagung der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. ist im Nell Breuning Haus in Herzogenrath bei Aachen eröffnet. 52 GefängnisseelsorgerInnen aus dem Bundesgebiet treffen sich zu dem schwierigen Themenkomplex Macht und Ohnmacht. Weltpolitisch wird Ohnmacht mit dem Ukraine-Krieg erlebt. Dazu kommt die Machtsituationen in den Kirchen sowie hinter den Mauern im Dienst als GefängnisseelsorgerIn vor Ort. Lamm und Löwe, zwei Vergleiche, die der evangelische Kollege in seinem Grußwort anführt.
“Der Löwe könnte bei diesem sperrigen Thema von Macht und Ohnmacht weiterhelfen. Denn In der Apokalypse erscheint Christus als Lamm, aber eben auch als Löwe”, so der Vorsitzende der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland, Igor Lindner, von der JVA Offenburg. Der Löwe stehe für klassische Kraft, das Lamm aber für eine andere Art kraftvoll zu sein. “Das ist widersprüchlich, paradox, aber nicht absurd”, sagt Lindner. Tatsächlich wird Macht und Ohnmacht in einem Atemzug erwähnt. Die Studientagung steht im Zeichen der inhaltlichen Auseinandersetzung sowie kollegialer Beratung in Bezug auf die seelsorgerliche Arbeit im Justizvollzug und der Straffälligenhilfe.
Macht und Ohnmacht
“Als wir im Oktober 2021 das Thema „Macht und Ohnmacht im Justizvollzug“ für 2022 vereinbart hatten, war noch nicht abzusehen, wie brandaktuell diese Thematik weit über den Vollzug hinaus werden könnte. Seit Februar erleben wir in Europa, was es heißt, ohnmächtig zusehen zu müssen bzw. die eigenen militärischen Machtinstrumente verantwortungsvoll ins Spiel zu bringen…” leitet der Vorsitzende der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland, Andreas Bär, die Grußwortreihe ein. “Der Schlüssel und ich ist daher eine Schlüsselfrage”, so Bär von der JVA Nürnberg. Constantin Panteley, Priester der ukrainisch–griechisch katholischen Kirche, der in der ukrainischen Gefängnisseelsorge in Kiew tätig ist, nimmt auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft International an der Tagung teil. Er ist der Leiter des UGKK Büro für Seelsorge im Strafvollzugssystem der Ukraine. Als er sich im Saal auf Deutsch vorstellt, wird es still. Kaum jemand kann sich noch vorstellen, was solch Krieg bedeutet.
Die Schwere des Themas wird durch die musikalische “Unterbrechung” zur Eröffnung nicht schön geredet, sondern vertieft. Die Musik des sechsköpfigen Shalomchors aus Mönchengladbach mit “Shyil und Kletzmer” lässt die Tiefgründigkeit und die Widersprüchlichkeit des Lebens hörbar werden. Sie wird international verstanden. Manche der TeilnehmerInnen klatschen mit, lassen sich berühren von der Musik. Die Staatssekretärin des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Daniela Brückner, geht in ihrem Grußwort auf die Verantwortung der Bediensteten ein. “Sie können Ihre Macht missbrauchen, aber positiv mit den Inhaftierten einsetzen”, so die Staatssekretärin. Die dankt ausdrücklich den GefängnisseelsorgerInnen für ihren engagierten Dienst nicht nur in der Coronazeit. Die Vorsitzende der Bundesvereinigung der AnstaltsleiterInnen, Yvonne Radetzki von der JVA Neumünster in Schleswig-Holstein, geht sogar so weit zu sagen, dass die Bediensteten in der Behörte oft selbst “gefangen” sind. Sie könnten viele Dinge im Vollzug nicht ändern, obwohl sie es wollten.
Mensch und nicht Macht im Mittelpunkt
Malin Mahner, Juristin im Katholischen Büro in Berlin, dem Verbindungsglied zwischen Kirche und Politik, erwähnt die gemeinsame Stellungnahme zu dem Referentenentwurf zur Neuordnung der Ersatzfreiheitsstrafe. “So sei durchaus eine Veränderung möglich durch die Wirksamkeit der klaren und gemeinsamen Stellungnahme hin zur Menschlichkeit”, führt Mahner aus. Sie berichtet persönlich von einem Gefängnisbesuch vor Jahren als Jugendliche, der in ihr bis heute Spuren hinterlassen habe. Sie saß plötzlich auf einem leeren Stuhl inmitten der Inhaftierten. So wurde die Distanz unterbrochen und der Mensch stand im Mittelpunkt. Der stellvertretende Generalvikar des Bistums Aachen, Rolf-Peter Cremer, erzählt vom Projekt der “Heiligtumsfahrt 2023”, in der die heiligen Tücher in den Knast mitgebracht werden sollen. “Auf Tuchfühlung mit dem Heiligen”, so drückt Cremer sich aus.
Bedeutsamer Tagungsort
Im Jahr 1979 ist das Oswald-von-Nell-Breuning-Haus als Bildungs- und Begegnungsstätte der KAB (Katholischen Arbeitnehmerbewegung) und CAJ (Christliche Arbeiterjugend) als eingetragener Verein im Bistum Aachen in der Region des Dreiländerecks Aachen gegründet worden. “Mühsame wie menschlich intensive kreative Dialogprozesse zwischen sozialdemokratischen Betriebsräten und Gewerkschaftern, christlich-demokratisch geprägten Engagierten, suchenden jungen katholischen Christen in der Kirche, grünen Friedens- und Umweltbewegten und alternativen Lebens- und Arbeitsprojekten, sozial an den Rand gedrängten Menschen aus Arbeitervierteln und in den vielen neu entstehenden Arbeitslosenprojekten ließen das Nell-Breuning-Haus zu einem Knotenpunkt der unterschiedlichen und widerstreitenden gesellschaftlichen Prozesse werden”, berichtet der Leiter des Hauses, Dr. Manfred Körber. Der stellvertretende Bürgermeister von Herzogenrath Dr. Manfred Fleckenstein (SPD), widerspricht dem nicht. Er äußert sich zu “Macht und Ohnmacht” in der Kommunalpolitik eher nicht… Er geht auf die geschichtliche Grenze zwischen der niederländischen Stadt Kerkrade und der deutschen Stadt Herzogenrath ein. Heute gibt es ein Einkaufszentrum, in dem man ohne Hindernisse die Länder wechseln kann. “Das ist eine machtvolle Geschichte hin zur europäischen Einigung trotz aller Unterschiedlichkeit”, so Fleckenstein.
Michael King