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In einem Moskauer Gefängnis gibt es eine Synagoge

10. August 2020

Zwischen schmutzig-weißen Plattenbau-Hochhäusern, Kinderspielplätzen und grauen Wellblech-Garagen erheben sich die mächtigen Mauern des Moskauer Butyrskaja-Gefängnisses. Die „Butyrka“, wie die Russen sagen, ist eine der bekanntesten Haftanstalten des Landes. Die Festungsanlage wurde bereits im 18. Jahrhundert unter Katharina der Großen erbaut. Später saßen hinter den Backsteinmauern viele Opfer des Stalin- und Sowjet-Terrors, darunter die Schriftsteller Isaak Babel, Wladimir Majakowski, Osip Mandelstam und Alexander Solschenizyn.

Die Butyrka hat bis heute keinen guten Ruf. Zuletzt kam sie 2009 in die internationalen Schlagzeilen, als der Anwalt Sergej Magnitzki qualvoll in Untersuchungshaft starb. Nicht nur wegen dieses Vorfalls bemüht sich die neue Leitung darum, die Haftbedingungen zu verbessern. Gemeinsam mit der Föderation der jüdischen Gemeinden Russlands (FEOR) eröffnete sie Ende März eine Synagoge innerhalb der Gefängnismauern. Es ist die erste in der Geschichte der Haftanstalt. „Man hat uns zwei Räume zur Verfügung gestellt. Einer ist 15 Quadratmeter groß, der andere 22“, sagt Rabbiner Aharon Gurjewitsch, der bei der FEOR für die Zusammenarbeit mit den Strafvollzugsbehörden zuständig ist.

Die Renovierung sei wegen der Dicke der Festungsmauern schwierig gewesen. Doch jetzt habe man die Räume mit Schränken, Tischen und Stühlen annehmbar hergerichtet. „Es gibt genügend Platz, sodass alle 29 jüdischen Häftlinge an den Schabbatgottesdiensten teilnehmen können“, sagt Gurjewitsch. Bereits seit Februar hält der Rabbiner in der Butyrka und in einem weiteren bekannten Moskauer Gefängnis, der „Matrosskaja tischina“ (Matrosenruhe), auch Vorlesungen über die jüdische Tradition. „Das Interesse ist sehr groß. Das Wissen vieler Häftlinge dagegen gering“, sagt der Rabbiner. Bei den wöchentlichen Treffen hält er deshalb zunächst einen Vortrag, zum Beispiel über einen Abschnitt aus der Tora. Anschließend stellen die Häftlinge Fragen. Das Vorlesungsprojekt soll vorerst nicht auf weitere Moskauer Gefängnisse ausgeweitet werden. „Erst einmal müssen wir Rabbiner finden, die die Vorlesungen halten können“, so Gurjewitsch.

Die Projekte der FEOR sind nur ein kleiner Teil der russischen Strafvollzugsreform, die seit den 90er-Jahren andauert und immer wieder international von Regierungen und Organisationen eingefordert wird. Auch Russlands Regierung hat längst erkannt, dass das System antiquiert ist. Nach und nach sollen deshalb die Haftbedingungen verbessert und die Zahl der Gefangenen reduziert werden. Denn derzeit gibt es in Russland rund 820.000 Häftlinge. Viele davon sitzen jahrelang in Untersuchungshaft, zum Teil deshalb, weil es keine alternativen Vollzugsmethoden gibt wie etwa Fußfesseln oder Kautionen. „Die Haftbedingungen sind in den vergangenen Jahren besser geworden“, sagt Ljudmila Alpern vom unabhängigen Zentrum zur Förderung der Strafrechtsreform. Nahrung, medizinische Versorgung und hygienische Bedingungen seien nicht mehr so schlimm wie noch vor wenigen Jahren. Nach und nach würden Sammel- durch Einzelzellen ersetzt. Auch die Gesetzgebung sei verbessert worden, so Alpern.

Problematisch seien dagegen weiterhin die Strukturen in den Gefängnissen. Machtmissbrauch und Willkür von Staatsanwaltschaft und sogenannten Operativen Diensteinheiten seien wegen mangelnder Kontrolle an der Tagesordnung. Wie die Strukturen zu ändern seien, hat Alpern als Mitglied der Öffentlichen Gutachter-Kommission der Stadt Moskau in einem 20-seitigen Bericht zum Fall Magnitszki festgehalten. „Die Modernisierung Russlands, wird es ohne eine Modernisierung der Gefängnisse nicht geben“, sagt Alpern. Die vergangenen hundert Jahre des Strafvollzugs in Russland seien geprägt von Gewalt gegen die inhaftierten Menschen. Das schlage sich auch im Denken der Bevölkerung nieder, die entlassenen Häftlingen ungern eine zweite Chance gebe. „In den Köpfen muss sich etwas ändern“, ist Alpern überzeugt. „Sonst werden wir trotz aller technischen Modernisierung im Mittelalter stecken bleiben.“

Christian Jahn | Mit freundlicher Genehmigung: Jüdische Allgemeine

 

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