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Von außen ist nicht erkennbar, ob jemand ein Mörder ist

8. Oktober 2020

Als katholischer Seelsorger besucht Placido Rebelo* wöchentlich Gefangene in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies im Kanton Zürich. Der indische Priester kennt Gefängnisse auf der ganzen Welt. Auch in der Schweiz sieht er Verbesserungsbedarf. Gemächlich spaziert Placido Rebelo über den Vorplatz beim Schiffbau in Zürich. Er hat ein breites Lächeln im Gesicht und strahlt eine innere Ruhe aus. Rebelo ist ein erfahrener Seelsorger und kennt Gefängnisse auf der ganzen Welt.

Placido Rebelo (rechts) im Kreis von KollegInnen bei einer Tagung von GefängnisseelsorgerInnen im baden-württembergischen Kloster Reute.

Seit fünf Jahren ist der gebürtige Inder in der Schweiz als Seelsorger tätig. Einmal pro Woche betreut er Häftlinge in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies bei Regensdorf. Rebelo ist auch Priester. In der neuen Enzyklika „Fratelli Tutti“ spricht Papst Franziskus über die Menschenwürde in Gefängnissen. Er will die dort herrschenden Lebensbedingungen der Inhaftierten verbessern. Rebelo schätzt diese Geste: „Ich bin sehr dankbar, dass sich der Papst für die Rechte der Gefangenen einsetzt.“ „Auch ein Mörder bleibt ein Mensch“, sagt Rebelo. Von außen sei nicht erkennbar, ob jemand einen Mord begonnen hat oder nicht.

Deshalb möchte Rebelo in seiner Arbeit jeden Gefangenen gleich begegnen. Dessen Hintergrund sei ihm im Gespräch gleichgültig. „Natürlich müssen die Umstände aber immer mitberücksichtigt werden und es braucht viel Sensibilität“, sagt der Seelsorger. Das Ziel in seiner Arbeit ist es, dass sich die Betroffenen öffnen können. „Meine Gesprächspartner sollten sich wohl fühlen“, sagt er. Ist Vertrauen aufgebaut, erzählen Häftlinge in der Regel von sich aus, was sie ins Gefängnis gebracht hat.

Gefängnisse im internationalen Vergleich

Der katholische Theologe ist offen für alle. Auch Andersgläubige und Atheisten suchen das Gespräch mit ihm. „Die Seelsorge geht über die religiöse Zugehörigkeit hinaus“, sagt Rebelo. Der 48-Jährige hat sich jedoch auf „Latinos“ spezialisiert. „Die Kommunikation spielt eine sehr wichtige Rolle“, sagt der Seelsorger. Damit meint er auch den Sprachgebrauch generell. „Im Gegensatz zum eher distanzierten und formellen Umgang unter Schweizern, ist eine direkte und warme Sprache im Spanischen und Italienischen sowohl in der ersten Begegnung sehr wichtig“, sagt Rebelo.

Sowohl in Indien, auf den Philippinen und in Indonesien wie auch in den USA, in Italien und in der Slowakei besuchte Rebelo Gefängnisse und beobachtete große Unterschiede. „Im Gegensatz zur Schweiz gibt es in anderen Ländern Gewalt und Diskriminierung“, sagt der Seelsorger. Hier können Gefangene arbeiten, sich weiterbilden und werden gut verpflegt. „Bis auf den Freiheitsentzug wird die Menschenwürde der Häftlinge in der Schweiz gewährt“, sagt er. In indischen Haftanstalten hingegen herrschen beispielsweise prekäre hygienische Zustände und die Behandlung der Gefangenen hängt von ihrem finanziellen und politischen Status ab. Auch sei die Lynchjustiz in Indien nach wie vor verbreitet. „Die Justiz ist nicht klar abgegrenzt. Bei kriminellen Tätigkeiten ist oft die ganze Familie involviert“, bedauert Rebelo. Oft würden die Leute ihr Recht deshalb in ihre eigenen Hände nehmen.

Lösungen für die Zukunft

Doch auch in der Schweiz sieht Rebelo Verbesserungsmöglichkeiten. Straftäter können den Kontakt zu ihren Angehörigen zwar aufrechterhalten, leben aber stark getrennt von ihren Familienmitgliedern. „Es wäre vor allem für ihre Kinder und auch für den Partner oder die Partnerin wichtig, beispielsweise ein ganzes Wochenende gemeinsam verbringen zu können“, sagt er. In der neuen Enzyklika „Fratelli Tutti“ spricht Papst Franziskus auch die Todesstrafe an und sagt: „Die lebenslange Freiheitsstrafe ist eine versteckte Todesstrafe.“ Dem pflichtet Placido Rebelo bei: „Diese beiden Optionen sind Extreme und helfen nicht, eine nachhaltige Lösung zu finden.“ Wiedereingliederungsprojekte hingegen seien zentral und könnten auch in der Schweiz stärker gefördert werden. Um weniger Kriminelle zu haben, plädiert Rebelo für eine direkte Konfrontation zwischen Täter und Opfer. „Erst wenn sich alle beteiligten Akteure miteinander auseinandersetzen, kann sich wirklich etwas lösen. Diese Methode nennt sich ´Restorative Justice´“. Ob und wie das umsetzbar wird, bleibt aber vorerst noch offen.

©  Alice Küng | kath.ch

* Placido Rebelo ist Mitglied der Internationalen Konferenz der Pastoralkonferenz des katholischen Gefängnisses (ICCPPC) für die Schweiz. Er hat Politikwissenschaft an der Universität von Mumbai und biblische Exegese am Päpstlichen Biblischen Institut in Rom studiert.

 

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