Ich glaube, es gibt nicht nur Momente, von denen man lebt, sondern auch die, für die man lebt. Dann bist nur Du gefragt, niemand anderes, dann ist es Deine Aufgabe, da zu sein. Mitunter löst ein leises Wort Großes aus, aber das Wort muss gesprochen sein. Ich glaube, dass jedem Menschen solche Momente im Leben zugedacht sind – Augenblicke, von denen Du selbst im Nachhinein sagst: Das hatte voll Sinn, dafür hat sich alles andere gelohnt, es ist, als wäre mein ganzes Leben daraufhin zugelaufen.
Von den bekannten Heiligen des Monats November erzählen wir uns derartige Momente: Martin, der seinen Mantel teilt, Elisabeth, die Brot austeilt. Das ist diesen beiden in die Wiege gelegt: Das offene Auge, das Gespür für Gerechtigkeit. Vielleicht oder ganz bestimmt verstehen wir viel in unserem Leben nicht, doch gibt es die Augenblicke, von denen wir sagen: Da hat es gepasst, da hatte ich das Gefühl: da war ich gefragt, das war mein ureigenster Auftrag.
Wie mit Gegebenheiten umgehen
Es kommt nicht auf die Menge solcher Augenblicke an. Gott denkt nicht in Zahlen. Es spielt keine Rolle, ob du fünf Talente, zwei oder ein Talent hast. Menschen mögen vergleichen – Gott nicht. Sie weiß, wem sie was gibt und warum. Die Frage nach der Menge stellt sich nicht. Aber die Frage stellt sich, wie ich mit dem mir Gegebenen umgehe, was ich daraus mache, ob ich mich verberge und verstecke oder ob ich es einbringe. Ich glaube, das gilt für einzelne, ich glaube auch, das gilt für Gemeinschaften. Ist es nicht die Gemeinschaft der ChristInnen*, die im Erbe der Botschaft Jesu nicht nur die Vision vom Frieden wach halten muss, sondern auch die Botschaft vom Gewaltverzicht? Ist es nicht die Gemeinschaft der Getauften, die im Erbe der Botschaft Jesu die befreiende Nachricht, dass vor Gott alle gleich sind, in eine Welt tragen muss, die immer noch Unterschiede macht, je nach dem, ob jemand arm oder reich, bekannt oder unbekannt, Frau oder Mann ist?
Kirchen und Menschen sind angefragt
Sind es nicht die Ortskirchen hierzulande, denen es unsere Zeit in die Wiege gelegt hat, sich in der Weltkirche für die Gleichbehandlung von Frauen und Männern, von Menschen, unabhängig ihrer geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung, stark zu machen? Ich glaube, wir dürfen das nicht für uns bewahren, dann handelten wir so wie der Diener im Evangelium, der das eine Talent bekommen hat, es sicherlich schätzt, aber nichts daraus macht. Was wäre, wenn nicht einzelne Menschen immer wieder aufgestanden wären, ihre Stimme erhebend? Frauen, die für das Wahlrecht einstanden vor hundert Jahren, Menschen, die sagen: ich bin nicht anders als du, mein Herz pocht, es fühlt und es liebt? Was wäre, dieser eine Mann, hätte vor langer Zeit die Reichen selig gepriesen, das Schwert in die Hand genommen, mit der Frau am Jakobsbrunnen kein Wort gewechselt? Was wäre, dieser eine Mann, der uns allen was sagt, hätte dasselbe gesagt wie die Schriftgelehrten und Pharisäer, oder er wäre in der Werkstatt seines Vaters geblieben, hätte sich zurückrufen lassen von seinen Verwandten, die ihn für verrückt hielten? Er hat sich nicht verborgen sondern geäußert, sogar entäußert.
Bernd Mönkebüscher, Mt 25, 14-30