In meiner Kindheit und heute noch als Erwachsener bin ich ein begeisterter Fananhänger von der Kinderbuch-Romanfigur Michel aus Lönneberga. Am jährlichen Weltkindertag* denke ich an die Filmausstrahlungen: Immer wenn der ideenreiche Michel etwas angestellt hat, wird der Junge in den Tischlerschuppen gesperrt, wo er kleine Holzmännchen schnitzt. Mit meinem Freund haben wir die Hörspielplatten rauf und runter gehört. Vor allem an Weihnachten sahen wir die Verfilmungen der Geschichten von Astrid Lindgren.
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Besonders berührt hat mich die Geschichte von Weihnachten auf dem Katthultshof. Da laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Während sich Michel und seine Familie auf Weihnachten freuen, haben andere so gar kein fröhliches Weihnachtsfest. Zum Beispiel die Bewohner des Armenhauses im Dorf. Sie werden von ihrer Leiterin Maduskan sehr kurz gehalten. Sie bekommen am Heiligabend salzige Heringe serviert, während all die Leckereien, die Michels Mutter ihnen geschenkt hat, Maduskan für sich selbst einsackt. Aber da hat Michel eine gute Idee: Er lädt die Armen zum großen Weihnachtsessen ein, das eigentlich für die Verwandtschaft vorgesehen war. Alle bugsiert er auf dem Pferdeschlitten zu sich nach Hause…
Anderes Herrschaftsmodell
An Michel aus Lönneberga habe ich denken müssen, als ich die Geschichte gelesen habe, die wir am Sonntag im Gottesdienst hören. Es ist eine ernste Geschichte. Die Jünger setzen nämlich die Ellenbogen ein. Jeder von ihnen will der Erste sein. Der Wichtigste, Erhabenste, Bedeutsamste. Das macht Jesus sauer. Und er sagt einen Gedanken, der auch heute noch nichts von seiner Provokation verloren hat: “Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.” Ein komplett anderes Herrschaftsmodell. Das komplette Gegenteil von “Ich Chef – du nix.” Und zwar wirklich, nicht nur im frommen, auch nicht im fromm gewandeten Spruch. Und weil die konsternierten Jünger immer noch nichts kapieren greift Jesus noch zu einem Bild. Er stellt ein Kind in seine Mitte. Und wenn ich jetzt daran denke, dann glaube ich: einen wie den Michel aus Lönneberga. “Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf” sagt Jesus. Und umarmt ihn.
Das Kind bewahren
In dieser Umarmung liegt wohl der Kern des Evangeliums verborgen. Ein Kind aufnehmen heißt doch, sich die Unbekümmertheit, die Herzensweite, den Mut, den Gerechtigkeitssinn, den Erfindungsreichtum eines Kindes zu bewahren. Heißt doch, die Welt und ihr Gefüge anders zu denken, zu fühlen und zu tun, als sie sich darstellt. Heißt doch, Blockaden, Hierarchien, Traditionen über Bord zu werfen. Heißt an Möglichkeiten zu glauben und nicht an Schranken und Klassen. Heißt: den Armen zu ihrem Recht verhelfen. Heißt, den Himmel nicht hermetisch zu denken sondern offen. Heißt: mehr Michel wagen. Wie sehr könnte die Welt, könnte die Kirche ins Glänzen kommen!
Peter Otten
* Der Weltkindertag ist im Land Thüringen gesetzlicher Feiertag.