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Medienwand in einer Schlicht- und Arrestzelle

31. Januar 2023

Im Beisein von Minister der Justiz Dr. Benjamin Limbach (Grüne) wurde Mitte Januar 2023 das Projekt „Medienwand“ im nordrhein-westfälischen Justizvollzug in der JVA Dortmund der Öffentlichkeit präsentiert. Bereits im Sommer 2021 wurden im Rahmen eines Pilotprojektes jeweils eine Schlichtzelle der Justizvollzugsanstalten Dortmund und Iserlohn damit ausgestattet. Verbessert dies die Interventionsmöglichkeiten in akuten Szenarien bei psychisch auffälligen Gefangenen?

Erst Anfang der 2000er Jahre hielt der Fernseher als Standard endgültig Einzug in die Hafträume eines Gefängnisses. Nicht so in einer sogenannten Schlicht- oder Arrestzelle. Hier befindet sich ein besonders gesichertes Inventar mit einem fest verbauten Bett und einem Stehklo aus Edelstahl  Gefangene werden insbesondere infolge vorherigen aggressiven Verhaltens dorthin verbracht, um die Situation zu beruhigen und Gefahren für sich und Dritte auszuschließen. Jetzt soll in solchen Schlichtzellen ein Spezial-Computer in der Wand installiert werden. Das neue Gerät nennt sich „Cowin, kurz für „Communication window“, also Kommunikationsfenster, erklärt Hersteller Erik Kuijpers. Der Niederländer ist gelernter Psychiatrie-Pfleger und hat das Riesen-Tablet entwickelt, um die Inhaftierten nicht ganz alleine zu lassen. Das niederländisch Unternehmen hat sich auf Deeskalationstechnologie für Krisenabteilungen in Psychiatrie und Justiz spezialisiert.

Infotainment im Abteilungsflur eines Jugendgefängnisses. „Damit kann man nur seinen Lohnschein abrufen…“, sagt der Inhaftierte.

Effektive Behandlung psychisch Erkrankter?

„Wenn man „schwierige“ Gefangene einschließt, geht man aus dem Kontakt“, sagt Kuijpers. Der gut gesicherte Touch-Computer soll zur Deeskalation beitragen: „Das ist kein Spielzeug“, sagt er – auch, wenn Spiele darauf installiert sind. Über den in der Schlichtzelle fest eingebauten Monitor ist die Kommunikation mit Betroffenen ohne persönliche Anwesenheit im Raum möglich. Zudem können die Gefangenen – soweit die Funktionen zuvor durch Bedienstete entsprechend freigeschaltet wurden – Applikationen hinzuwählen und diese per Touchscreen bedienen. Minister Dr. Limbach hebt hervor: „Der Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen stellt den Justizvollzug – nicht nur in Nordrhein-Westfalen – vor große Herausforderungen, denen wir mit vielfältigen Maßnahmen begegnen. Ich freue mich, dass mit der nunmehrigen Einführung der ,Medienwände‘ ein weiterer Beitrag zu effektiven Behandlung psychisch kranker Gefangener geleistet wird.“

Die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt zeigen, dass die „Medienwand“ für Orientierung und Aggressionsabbau bei den in der Schlichtzelle untergebrachten Gefangenen sorgen kann. Ob die „Medienwand“ zum Beziehungsaufbau zwischen Bediensteten und den Fachdiensten mit dem Gefangenen einsetzbar ist, bleibt offen. Erträglicher wird der Aufenthalt in solch einer Schlichtzelle nicht unbedingt. Der Minister Dr. Limbach betont aber vor diesem Hintergrund: „Das Projekt zeigt, dass digitale Systeme die Arbeit im Vollzug sinnvoll unterstützen und verbessern können. Damit ist die Einführung der ‚Medienwände‘ über das bestehende Projekt hinaus richtungsweisend für den Einsatz moderner Technik im Justizvollzug.“

Digital in Haft abgeschnitten

Manche der Fachdienste sehen die Technik kritisch. „Man sollte jeden Haftraum mit einem medialen System ausstatten und nicht nur in solch einer Schlichtzelle“, sagt ein Pädagoge, der im Jugendvollzug arbeitet. „Wenn ein Inhaftierter mit einer akuten Psychose das Gerät bedienen soll, ist dieser sicher überfordert – oder er fühlt sich nicht ernst genommen“, sagt der. Tatsächlich sind Gefangene in Haft digital abgeschnitten. „Wie sollen Gefangene Medienkompetenz erlernen, wenn sie keinen Zugang dazu haben“, fragt ein Bediensteter kritisch. Das Pilotprojekt wird zeigen, inwieweit der mediale Zugang in einer besonders kritischen Situation wie die in einer Schlichtzelle, deeskalieren wirkt oder auch nicht.

Titelfoto: Recornect B.V.

 

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