Mitte August steht im kirchlicher Kalender “Mariä Himmelfahrt”, einen Feiertag den kaum einer kennt. Vielleicht ist er noch wenigen Pilgergruppen vertraut, die in den Ferien einen Marienwallfahrtsort besuchen. Im Saarland, Luxemburg, Österreich und Teilen Bayerns ist es ein gesetzlicher Feiertag. Maria wird verehrt als Mutter Gottes. Sie wird oft als rein und makellos dargestellt. In befreiungstheologischer Hinsicht ist Maria eine Frau aus der Gesellschaft.
In den brasilianischen Gefängnissen wird Inhaftierten die Frage gestellt, wer für sie Maria ist. Die Antworten erstaunen: “Maria kennt den Schmerz und die Sehnsucht der Mutter, die an ihre Kinder denkt”, Maria ist die weibliche Hand, die sich den Frauen entgegenstreckt”, “Maria ist ein Brunnen inmitten der gefangenen Frauen” oder “Maria ist die Mutter der Barmherzigkeit.” Maria ist eine Frau inmitten der Menschen, die in einer ungleichen und patriarchischen Gesellschaft lebt, in der nur die mächtigen Männer reden können. Sie wohnt in Galiläa, im Dorf Nazareth, in einer armen und an den Rand gedrängten Region, wo ein widerstandsfähiges Volk lebt das sich gegen die willkürliche Unterdrückung durch die Römer wehrt. In diesem Ort wird Jesus geboren. Wo würde Maria heute leben? In den ausgegrenzten Stadträndern, den unzugänglichen Hügeln der Städte, in den Armenvierteln, in den Gefängnissen? Wäre sie arm, schwarz, jung?
Maria verstaubt?
Maria ist ein Name, der sich in vielen Orts- und Kirchennamen wiederfindet. Mariazell, Maria Bild, Maria Bronnen oder Mariaort im Landkreis Regensburg. Maria begegnet uns ebenso in vielen Bildern – schön und lieblich, mütterlich und hingebungsvoll, ohne Fehl und Tadel. Ein Bild, mit dem sich heute kaum noch Menschen identifizieren können. Die junge Mutter, die sich in einem ständigen Spagat zwischen Familie und Beruf befindet; das gepiercte und tätowierte junge Mädchen; die Frau, die sich von ihrem Mann getrennt hat: Mit dieser Lebensrealität hat die Mutter Gottes auf den ersten Blick nicht viel zu tun. Maria verstaubt mit der Zeit in Kitschbildchen oder findet sich in Marienstatuen in einer Ecke der Kirche wieder.
Maria auf den Boden holen
Mit Maria werden die Grundsätze dieser Gesellschaft gebrochen und wird das Neue geboren. Für Jesus war Maria mehr als nur seine Mutter: in ihr erkennt er eine Frau die zur Geschichte der Menschheit gehört, in einer Gesellschaft in der die Frau kein (Mit-) Sprachrecht hatte. Maria, mit ihrer Spiritualität wird so gesehen heute “auf den Boden geholt”. Nicht alleine in der Verehrung in der Anbetung ist sie präsent, sondern im alltäglichen Leben. In einer modernen Übersetzung des Rosenkranzgebetes ist von einem Wunder die Rede. Die Frau, die sich heute für die Rechte Minderheiten einsetzt, die die Mißstände in der Kirche aufdeckt, die ihre Stimme erhebt für eine gerechtere Welt. Die Initative “Maria 2.0” hat sie als Vorbild genommen. Die Kraft, die von Maria für so viele “Marias” nicht nur in den Gefängnissen ausgeht, ist, sich für die Freiheit von Frauen um Männern einzusetzen. Nicht in einer heilen Welt steckenzubleiben, sondern sich in der Realität zu stellen für eine göttlichere Welt.
Michael King | Sr. Petra Silvia Pfaller
Das Titelbild zeigt die Kirche in Mariazell im Schwarzwald. Im Achteck des Turmes ist das Ave Maria eingearbeitet. Mariazell ist eine Gründung des Klosters Reichenau am Bodensee. In der österreichischen Obersteiermark befindet sich der große Marienwallfahrtsort Mariazell.