Sophie Mono | Mallorca Zeitung.
Jaume Alemany ist ein besonderer Kirchenmann. Auf der Insel engagiert er sich an vielen Fronten – und ist der Meinung: “Die Kirche sollte nicht zu viel Macht haben” Als Jaume Alemany vor 66 Jahren in Palma de Mallorca geboren wurde, war die katholische Kirche in der Gesellschaft noch allgegenwärtig. „Sie hat an Bedeutung verloren und Macht eingebüßt, ganz klar”, sagt Alemany. Schlimm findet er das nicht. „Es ist gut so. Immer wenn die Kirche zu viel Macht hatte, ist es schiefgegangen.”
Nein, Alemany ist kein weltlicher Kirchenkritiker. Seit seinem 26. Lebensjahr ist er als katholischer Pfarrer auf der Insel tätig, kennt die Sorgen des Real Mallorcas ebenso gut wie die Nöte der Justizvollzugsbeamten, die kürzlich gestreikt haben. Seine Gemeinde ist die von Mare de Déu de Montserrat. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Feiertag”, sagt Alemany und schreitet dann in seinem Priestergewand vom Altar in Richtung Sakristei. Es ist Allerheiligen, und das schlichte Gebetshaus in Palmas Es-Rafal-Viertel recht gut gefüllt. „Es kommen immer so viele, ich kann mich nicht beklagen”, sagt Alemany, der sein Priestergewand abgelegt hat und nun in schlichtem Hemd und Jeans ins Pfarrbüro geht. Es ist leicht, mit ihm zu Plaudern, sein offener, freundlicher Blick vertreibt jede Distanz. „Kirche sollte bescheiden sein und minoritär. Sie braucht keinen Applaus, denn der hat immer seinen Preis”, sagt er. Lieber vergleicht er die Kirche mit einem Senfkorn oder Backpulver im Teig, das essenziell ist, ohne im Vordergrund zu stehen. „So sollte sie sein. Denn nur das verleiht ihr Glaubwürdigkeit.”
Wenn Jaume Alemany es zeitlich schafft, dann guckt er sich am Wochenende im Stadion die Spiele von Real Mallorca an. „Ich bin Fan, klar”, sagt er. Und nebenbei natürlich Vereinspfarrer. Oft nähmen die aktuellen Spieler seine Dienste als Seelsorger aber nicht in Anspruch. Aber ein paar Mal im Jahr veranstaltet er Messen für verstorbene Vereinsmitglieder. „Die Spieler sind alle sehr beschäftigt.” Gleiches trifft allerdings auch auf ihn selbst zu. Neben der Leitung seiner Gemeinde ist er Leiter des Kirchendienstes im Gefängnis von Palma. „Langeweile habe ich nicht”, sagt Alemany und nickt beschwingt. „Aber ich finde es wichtig, als Pfarrer auf die Menschen zuzugehen, anstatt hier eingeschlossen im Gemeindehaus zu hocken. Die Kirche sollte bei den Armen und Ausgeschlossenen sein. Bei denen, die leiden und bedürftig sind.”
Ein Mann, ein Wort. Mehrmals in der Woche macht sich Alemany seit mehr als 20 Jahren auf ins Gefängnis in Palma, zu den Verurteilten. Er hat nicht nur aus den Medien von dem Streik der Justizvollzugsbeamten gehört, die für mehr Geld und Personal kämpfen, oder von den Beschwerden einiger Insassen, schlecht behandelt zu werden. Er kennt die strengen Strukturen, den teils rauen Umgang, die täglichen Konflikte aus eigener Anschauung. Dass es in Palma schlimmer sein könnte als in anderen Gefängnissen – was die hohe Zahl der Übergriffe von Insassen auf Wärter nahelegt – glaubt er aber nicht. „Ein Gefängnis ist an sich ein sehr komplexes System. Es ist schwer, ja fast unmöglich, dass dort alles reibungslos funktioniert. Aber manchmal bleibt leider die Würde der Insassen auf der Strecke, und dafür ist auch die Gesellschaft verantwortlich”, sagt er – und setzt genau dort an.
Mit einem 30-köpfigen Team aus Freiwilligen versucht er, die Vollzugsanstalt menschlicher zu machen. „Wir sehen in den Häftlingen nicht nur die Verbrecher, sondern auch die Personen dahinter”, erklärt er. Neben vertraulichen Gesprächen und Weiterbildungsangeboten im Gefängnis dienen Alemany und seine Unterstützer oft auch als Brücke zu den Angehörigen der Gefangenen. Und wenn gewünscht auch als Resozialisierungshelfer. „Wir ermöglichen ihnen Freigänge und geben denen, die keine Bleibe haben, Unterkunft und praktische Lebenshilfe, wenn sie nach Jahren ihre Haftstrafe abgesessen haben.” Oft müssten die Freigelassenen dann viele alltägliche Sachen ganz neu lernen. „Letztlich geht es um Würde und eine zweite Chance, die jeder von uns verdient hat”, so Alemany.
Gut ein Dutzend Häftlinge nimmt der Geistliche jedes Jahr mit nach Sarria in Galicien, um gemeinsam die letzten Etappen des Jakobswegs abzulaufen. Acht Tage lang wandern bis zur Kathedrale von Santiago de Compostela. „Der Weg des Lebens beginnt für sie dann, wenn der Jakobsweg zu Ende ist.” Das Pilgern sei eine gute Möglichkeit, um sein Leben in neue Bahnen zu leiten, findet er – und ist nebenbei Alemanys unübertroffene Leidenschaft. Das ist beim Besuch in den Räumlichkeiten seiner Gemeinde nicht zu übersehen. Überall auf Postern und Prospekten ist das Symbol der Jakobsmuschel zu sehen. „Ich bin fast jeden Monat auf einer der europäischen Jakobswegstrecken unterwegs”, so Alemany. Wenn nicht mit Häftlingen, dann mit Seniorengruppen, Jugendgruppen oder Familien. „Und alle 15 Tage fliege ich nach Santiago, um dort freiwillige Pilgerbetreuer auszubilden.”
Noch so eine Sache, die Alemany vom Klischee des nach Macht strebenden katholischen Würdenträgers unterscheidet. „Die Posten in der Kirche müssen mehr von Weltlichen übernommen werden”, findet er. Es sei gut, den Menschen mehr Verantwortung zu geben und sie die Kirche mitgestalten zu lassen. „Wir brauchen eine Kirche, in der der Pfarrer nicht alles ist.” Auch deshalb verstehe sich Alemany so gut mit Mallorcas Bischof Sebastià Taltavull – der hatte erst vor Kurzem angekündigt, zahlreiche Posten im Bistum mit Nicht-Geistlichen zu besetzen. Die beiden kennen sich noch aus dem Priesterseminar. Taltavull habe einen positiven Blick auf die Kirche und sehe sich im Dienste der Menschen – genau wie Alemany selbst. Er ist sich sicher: „Die Kirche mag in den letzten Jahrzehnten an Anhängern verloren haben. Aber gleichzeitig hat sie an Qualität gewonnen.”
Mit freundlicher Genehmigung: Mallorca Zeitung