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Lucy, der härteste Knast und (un)mögliche Zwischentöne

24. Juli 2020

Der Sender RTL filmt mit der Sängerin Lucy Diakovska die Reportage „Knochenjob im Knast“ im Jugendgefängnis Herford. Die ehemalige Sängerin der Girl-Bandgruppe „No Angel“ gibt an, die Häftlinge von einer anderen Seite kennenlernen zu wollen. Das Format des Kölner Senders in der Reihe Stern TV zeigt, in welcher Art und Weise über die Arbeit hinter Gittern berichtet wird: Superlativ, emotional, herzzerreißend und knallhart. Dies alles gepaart mit einer Prominenten, die keiner mehr kennt.

Ex-No-Angels-Sängerin Lucy Diakovska verbrachte im Rahmen der Reportage von Stern TV „Knochenjob im Knast“ zwei Tage im Herforder Jugendgefängnis. Natürlich nur zu den Filmaufnahmen. Im Mittelpunkt steht der Star, der eine neue Perspektive einnehmen will. Oder wird Jugendvollzug durchaus kritisch, aber mit echtem Interesse beleuchtet? Als ich während der Ausstrahlung des Beitrages eine WhatsApp Nachricht einer Freundin erhalte, ob ich auch in diesem härtesten Jugendknast Deutschlands arbeite, wurde mir bewusst, welchen „Knochenjob“ ich als Gefängnisseelsorger eigentlich ausübe. Die Dreharbeiten des RTL Teams habe ich Anfang des Jahres mitbekommen. Schön dachte ich, dass die Medien sich für das Thema Jugendstrafvollzug interessieren und dies ohne dass sich ein konkretes Ereignis wie eine Flucht oder ein Übergriff ereignet hätte.

Bis dato kannte ich die Sängerin nicht. Die jugendlichen Gefangenen schon. Die Sender der RTL Gruppe gehören zu den Lieblingsprogrammen im Knast. Lese ich nach, erfahre ich, dass die Sängerin sich mit ihrer Lebensgefährtin als Promigast in Big Brother präsentierte. Das Lucy eine brillante Sängerin ist mag ich gar nicht in Abrede stellen. Ich frage mich nur, welche Hintergründe es für ein solches Format gibt. Vordergründig steht eine effekt-erheischende Bühne, mit der sie sicherlich eine exotische Publicity erreicht. Ich vermute, dass es die Zuschauer anspricht, wenn ein Promi am Rand der Gesellschaft auftaucht und Gutes tun will.

Lucy spricht mit drei Gefangenen. Dies muss man ihr lassen, das macht sie auf Augenhöhe und zugeneigt. Dass sie selbst einmal Opfer einer Straftat wurde, bringt sie so ganz beiläufig mit ein. Wo  eine Kamera ist, ist eine Regie, die klar Herzlichkeit und sogar (vor Corona) Umarmung vorgibt. Wie eine Vollzugsbeamtin will sie mitarbeiten, wühlt in der Wäsche eines Gefangenen, teilt Frühstück aus und kriecht unter deren Betten. Dies zeigt eine übergriffige Intimität, die mit der Unwissenheit der tatsächlichen Realität im Knastalltag entspricht. Die Methode in in Superlativen zu sprechen, ist bei RTL hinreichend bekannt: Der härteste Jugendknast, der Knochenjob und der knallharte Alltag mit täglichen Sicherheitsstörungen beeindrucken und faszinieren.

Die Kommentar-Beiträge in Socalmedia wie Facebook zeigen, dass Zuschauer dementsprechend reagieren. Die Gefangenen sollen bei Brot und Wasser weggesperrt und der Kuschelkurs im Hotel „Jugendvollzug“ eingestellt werden. Auch hier vermute ich, dass die Reaktionen gewollt sind. Kein einziger Beitrag berichtet etwas Positives zum Gesagten der beiden Kollegen, die dort arbeiten. Die Sozialarbeiterin und der Bedienstete des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD) haben alle Mühe das Bild ihrer Tätigkeiten anders zu zeichnen. Sie machen ihre Sache gut und berichten nicht im schwarz-weiß Ton, sondern bringen feine Zwischentöne ins Gespräch. So sagt die Sozialarbeiterin Martina Twelenkamp, „dass sie sehr wohl in den Gesprächen mit jungen Männern etwas Neues mitgeben kann.“ Die Vollzugsbediensteten vom Fach machen nicht den Eindruck, dass der „Knochenjob“ frustrierend sei. Auch der JVA Beamte Lars König hat nicht nur Hafträume zu filzen, sondern „weiß konstruktiv mit Gefangenen, trotz so mancher harten Straftat, umzugehen.“

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Die zwischengeschaltete Werbung eröffnet Raum zu fragen, ob in der Fortsetzung etwas ausgestrahlt wird, was Perspektiven und alternative Möglichkeiten aufzeigen. Im Studiointerview mit dem Moderator Steffen Hallaschka stehen die Erlebnisse von Lucy an erster Stelle. Wenige Erfahrungen der beiden Gäste werden ernsthaft gewürdigt. Dort, wo es interessant wird und eine konstruktive Auseinandersetzung passiert, ist die Sendung zu Ende. Immerhin war Lucy neben Big Brother in einem echten Knast. In der Fortsetzung der Geschichte ein Jahr später mit dem entlassenen Gefangenen, wird im Studiogespräch wieder Lucy per Livestream zugeschaltet. Die bereits bekannte Sozialarbeiterin und der ehemalige Inhaftierte Maximilian im Studio sind weniger interessant. Schade, aber das Format möchte eine tiefere Auseinandersetzung gar nicht. Da zählen vor allem die Schlagworte und Bilder, die eingängig sind. „Er tötete fast einen Menschen: Was kommt nach dem Jugendknast?“, so der Titel. Über die Hälfte des Filmes ist die Wiederholung des ersten Teils. Immerhin kommen die Großeltern und seine Mutter zu Wort. Hochachtung vor Maximilian, dass er sich mit seiner abgründigen Geschichte an die Öffentlichkeit wagt. Hier ansehen…

Michael King | JVA Herford

 

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