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lm Gefängnis angemessen von Gott sprechen

5. Juni 2023

Als Pastoralreferent in der Katholischen Gefängnisseelsorge in Schleswig-Holstein feiere ich durchschnittlich einmal im Monat fünf Wortgottesdienste in drei verschiedenen Anstalten. Dafür fahre ich 200 km durch Schleswig-Holstein. An diesen Gottesdiensten nehmen etwa 120 bis 150 Gefangene an normalen Wochenenden teil, an hohen Feiertagen etwa 200 Gefangene. Um den Wechsel mit evangelischen Kollegen hinzubekommen, bedarf es einer guten Zusammenarbeit mit den drei evangelischen Seelsorgem und einer guten Logistik.

Justizvollzugsanstalt in der Landeshauptstadt Kiel in Schleswig-Holstein.

Neben der körperlichen Anstrengung treiben mich nach vielen Jahren Gefängnisseelsorge die Fragen: Wie kann ich im Gefängnis angemessen von Gott sprechen, wenn über 90 % der Gefangenen nicht kirchlich sozialisiert sind? Wie kann ich vom guten und barmherzigen Vater sprechen, wenn Jugendliche als Kinder mit der Eisenstange geschlagen wurden? Wie kann ich das „Vater unser“ sprechen mit Frauen, die von ihren Vätem oder anderen Männem sexuell missbraucht wurden? Wie kann ich von väterlichen und mütterlichen Anteilen Gottes sprechen, wenn Gefangene in Heimen groß geworden sind? Wie kann ich von Ostem sprechen, wenn Vertrauen stirbt, wenn Beziehungen und Fähigkeiten sterben? Ich kann es nur tun, wenn ich die Geschichte der Gefangenen im Alltag emst nehme, wenn das, was ich im Gottesdienst sage, mit dem Alltag des Seelsorgers übereinstimmt.

Symbole

Authentizität und Einfühlungsvermögen ist vom Seelsorger in hohem Maße verlangt. Dies betrifft die Sprache, den lnhalt der Ansprache bis zur genauen Auswahl von Texten und Liedem. Gefangene genießen die andere Atmosphäre und die andere Sprache im Gottesdienst, auch wenn die Motivation der Gefangenen sehr unterschiedlich ist, was die Teilnahme am Gottesdienst betrifft und Störungen vorkommen. Da ich an einem Wochenende in drei Anstalten 5 Gottesdienste insgesamt feiere, gestalte ich sie im klassischen Ablauf eines Wortgottesdienstes. A11erdings bekommt jeder Gefangene zum Friedensgruß eine Blume oder in der Advents- und Weihnachtszeit und Ostem eine Kerze geschenkt. Da Schnittblumen nur durch die liturgische Feier in den Hafträumen erlaubt sind, pflegen viele Gefangene diese eine Blume zwei Wochen, um dann eine neue zu bekommen. Die Blume als Lebenszeichen auf der Zelle, ein wichtiges Symbol.

Offen sein

Wortgottesdienst mit Kommunionfeier feiere ich eher selten, auf Nachfrage bringe ich die Kommunion zu dem Gefangenen in die Zelle. Größerer materieller Aufwand in der Gestaltung ist in der Dichte der Gottesdienstzeiten und bei den Strecken nicht möglich. Allerdings halte ich es für wichtig, dass die Gottesdiensträume so gestaltet sind, dass die Gefangenen in eine andere Atmosphäre eintauchen können. Wir haben in Schleswig-Holstein das Glück, zumindest in den JVA´en Lübeck, Neumünster und Flensburg Kapellen zu haben, die nur für Gottesdienste oder klassische Konzerte genutzt werden. Zur Atmosphäre gehört für mich die Musik: Orgel, Gitarre, Flöte und Gesang. Psalmen sind ebenso wichtigh, da sie als poetische Textform des 1. Testamentes die Gefühle der Gefangenen am besten wiedergeben. Der Gottesdienst macht den Gefangenen neben den seelsorgerlichen Gesprächen deutlich, worin meine Wurzeln als Christ und als Seelsorger liegen. Vielleicht kann sich der eine oder andere auf seine göttlichen Lebenserfahrungen besinnen oder vielleicht kommt der eine oder andere auf den Geschmack. Gott ist offen. Ich als Seelsorger sollte es auch sein.

Gerhard Lüssing | Gefängnisseelsorger in Schleswig-Holstein

 

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