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Das Leben in (m)einer Knast-Pappschachtel

14. Januar 2021

Sich in der Knast-Pappschachtel Gedanken zu Gott, Geld und das Gefängnis zu machen ist naheliegend. Man hat genug Zeit, wenn die Haftraumtür ins Schloss fällt. Ein-Schluss und Ausschluss in der Kommunikation. Nur noch mein Fernseher und Ich. Oder Ich und mein Zellennachbar oberhalb von mir. Verbunden am Haftraumfenster mit Zurufen und Kommentaren. Der Inhaftierte Stefan P. bringt seine Gedanken zu Papier. Veröffentlicht ist es im Knast-Lesebuch aus den Justizvollzugsanstalten Hünfeld und Fulda.

Mein Arbeitskollege im Gefängnis sagte mir spontan zum Thema, dazu lohne keine Gedankenakrobatik, denn man könne ohne Gott und Gefängnis gut leben, ohne Geld ginge das nicht. Wohlan, gehen wir trotzdem zuerst das Thema Gott an: Was lässt uns zaudern bzw. uns ungläubig abwenden, wenn wir an Gott denken. Wir machen uns ein Bild von Gott und vergleichen dieses mit der von uns wahrgenommenen Realität. Das aber sind Gedanken über das Wesen Gottes. Anfänglich sollte die Frage nach der Existenz Gottes, also eines übernatürlichen Wesens stehen. Dazu ist es hilfreich, sich das Wunder des Lebens, der Welt und unseres Geistes vor Augen zu führen. Wenn wir uns die bis dato anerkannten Theorien zum Ursprung unseres Kosmos vor Augen führen, erhalten wir keine Antwort (der Urknall sei vor ca. 14 Milliarden Jahren gewesen), woher kam aber die Materie oder die Energie, gab es eine Zeit vor der Zeit, wie konnte aus den einfachsten Elementen organisches Leben entstehen, wie eine Doppelhelix aus vier Basenpaaren gebildet werden (DNA)?

Gott oder Vishnu, Shiva und Brahma

Entschuldigen Sie diese Fragen, aber ich bin eigentlich ein gelernter Chemieingenieur. Wir entstehen aus einer einzigen (befruchteten) Zelle. Wie entsteht unser Bewusstsein bzw. unser Geist? Durch Zufall dies alles zu erklären, ist für mich keine tragfähige Lösung. Somit glaube ich an Gott als ursprüngliche übernatürliche Kraft. Fast alle Religionen basieren auf der Vorstellung des Menschen als einem sterblichen Mängelexemplar, dem bei bestimmten Verhalten „Erlösung“ von der Erdenschwere winke. D.h. wir schreiben Allah, Gott oder Vishnu, Shiva und Brahma ein bestimmtes Wesen zu, welches sich in diversen Religionsformen manifestiert und mittlerweile von Eliten überwacht und missbraucht wird zur Erhaltung von Machtgebilden und Standesdünkel (Ablasshandel, Kindesmissbrauch, Kastengesellschaft, der IS etc). Um es abzukürzen: Ich persönlich möchte nicht ohne einen  Gottesgedanken, also einen Bezug zu Gott leben, sage aber zu den Eliten „Nein danke!

Geld ist Leid und leitend

Indem ich das Wunder des Lebens in mir und an mir sehe, erkenne ich Gott in mir und in der Welt, also auf neudeutsch: hänge ich dem Pantheismus an. Ich erlange damit einen sehr gut fundierten Selbstbezug und somit ein entsprechendes Selbstbewusstsein, das mich erkennen lasst, was für mich wichtig ist und was nicht. Somit steht für mich eine positive Selbstannahme als Basis meines Lebensentwurfes fest. Nur wenn ich mich selbst als wertvoll und liebenswert wahrnehme und annehme, bin ich in der Lage, diese Wertschätzung und Liebe anderen entgegenzubringen. Damit erübrigt sich die tragende Funktion des Geldes bzw. des Materiellen, über die ich mich früher gerne definiert habe. Früher hatte ich kein gutes Verhältnis zu Geld. Es war immer reichlich da und ich habe es mit vollen Händen ausgegeben. Geld ist wie Religion eine Glaubenssache, wir glauben an den Wert eines Stückchen Papiers. Nur hat dieser Glaube ans Geld in seiner Verbreitung unsere alten Weltsichten längst überholt und uns alle gefangen genommen. Geld ist das Leitmotiv und Leidmotiv unserer Gesellschaft geworden. Es bestimmt den Status des Einzelnen und verleiht Macht. Es verspricht in der Werbung auch Glückseligkeit. Uns wird eingeredet, dass wir glücklich werden, wenn wir uns all die schönen Dinge kaufen, wie ich das früher getan habe. […]

Achtsamkeit üben

Früher fiel mir das schwer. Das sieht man mir auch an. Insofern war das zeitweilige wiederholte Diäthalten in der Vergangenheit nur das Herumdoktern an den Symptomen, nicht aber die Veränderung der dahinter stehenden Haltung. Insofern kam es bei mir auch jedes Mal zum sog. Dominoeffekt. Die anderen Kardinalstugenden sind übrigens Gerechtigkeit, Weisheit und Mut. Es lohnt, sich mit diesen Begriffen auseinanderzusetzen, wenn ich die drei christlichen Tugenden Liebe, Glaube, Hoffnung noch dazu nehme, stelle ich fest, dass das Materielle immer mehr an Gewicht verliert. Eine Wesensveränderung bei mir ergibt sich nur durch fortdauernde Praxis. Dies heißt ich versuche bewusster zu handeln, was ich durch Achtsamkeit erreiche, genauer gesagt durch Achtsamkeitsmeditation, für die ich sogar den Pfarrer hier versucht habe zu begeistern. Ich habe früher ab und an meditiert. Seit meinen langen und intensiven Gesprächen mit dem hiesigen Anstaltspsychologen meditiere ich fast täglich und habe mich mit den entsprechenden Büchern von Dr. Jan Kabat-Zinn und dem MBSR-Training auseinandergesetzt. Ich habe gelernt, meine Gedanken nicht mehr wertend wahrzunehmen und sie sein zu lassen, was sie sind, nämlich Gedanken, nicht mehr und nicht weniger. Ich bestimme mein Handeln und nicht meine Gedanken. […]

Null Toleranz Politik?

Das gewichtigste Problem ist aber, dass die kriminologische Forschung die aktuellen Probleme im Vollzug genau kennt und auch entsprechende Lösungsvorschläge liefert (zum Beispiel in der Fachzeitschrift Forum Strafvollzug). Leider werden diese zensiert und der Wählergunst geopfert. D.h. die Politik arbeitet gegen besseres Wissen zugunsten des eigenen Machterhaltes. Es ist relativ leicht, Wählerstimmen zu generieren mit den Themen Sicherheit, Kosteneffizienz, Null-Toleranz-Politik, ,,kriminelle Ausländer raus“ Parolen etc. Dagegen wird auf die Vernunft, also nach meiner Meinung die Liberalisierung des Vollzugs, die Resozialisierung, den offenen Vollzug, die umfangreiche psychologische Hilfestellung mit  Wählerungunst reagiert. Es ist somit kein Wunder, dass unsere Gefängnisse hohe Rückfallquoten generieren. Ein Armutszeugnis der verpassten Chancen. In Anbetracht der sich gegenseitig selbst deckenden Eliten (Kirchen, Volkswagen, Berlusconi, Trump, Audi, Deutsche Bank etc.) lässt sich kein wirklicher Veränderungswille der etablierten Parteien erkennen. Die einzige Partei, die eine Reform des Strafvollzugs angeht, ist die Partei „die Linke“. Somit ist mein Motto: Links schlägt das Herz.

Stefan P. | Auszüge aus: Born to be wild – Gott, Geld und Gefängnis, S. 50 – 53

 

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