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Gut, dass die Knastwelt jetzt außen sichtbar ist

22. Oktober 2020
Im Jahr 2020 wollte die baden-württembergische Stadt Freiburg im Breisgau ganz groß das 900 Jahr Jubiläum feiern, bis Corona dazwischen kam. Während den Vorbereitungen fiel irgendwann auf, dass das in der Stadtmitte gelegene Gefängnis im Grunde gar nicht vorkommt. Die Freiburger Fotografin Britt Schilling, die Filmemacherin Reinhild Dettmer-Finke sowie der evangelische Anstaltspfarrer Michael Philippi ist es zu verdanken, dass im Zuge intensiver Gespräche das Foto– und Informationsprojekt „Strafraum – Absitzen in Freiburg“ in Gang kam. Da Aufnahmen innerhalb der Anstalt erfolgten, musste das Justizministerium in Stuttgart mit dem Minister der Justiz und für Europa, Guido Wolf (CDU), eingebunden werden.

Ab Mitte Juni 2020 befinden sich an der Außenmauer der Haftanstalt große Plakate, die Gefangene auf Plastikstühlen sitzend zeigen. Von hinten fotografiert. Auf der Gegenseite, also der Innenseite der Mauer, sieht man die selben Inhaftierten, diesmal jedoch von vorne aufgenommen. Die beiden Künstlerinnen, sowie der ehemalige Herausgeber und Chefredakteur der Badischen Zeitung, Thomas Hauser, sie gewannen ganz unterschiedliche AutorInnen für textliche Beiträge, so dass am Ende nicht nur ein reines Fotobuch herauskam.

AutorInnen und Themen

Der ehemalige langjährige Gefängnisleiter Thomas Rösch gibt Auskunft über Gewalt und Drogen, zumindest wie er die Problematik beurteilt. Peter Asprion, pensionierter Bewährungshelfer und früher selbst Sozialarbeiter in der JVA Freiburg berichtet aus seiner Arbeit und der Wirksamkeit von Bewährungshilfe. Dr. Christian Rath, er schreibt unter anderem für die taz, problematisiert die Frage, ob Nationalitäten in der Medienberichterstattung zu Kriminalfällen von Relevanz sind und kritisiert, dass „Ausländerkriminalität überdimensioniert häufig thematisiert“ werde. Eine Lehrerin, die im Abiturkurs Geschichte und Politik unterrichtet, Anita Firner, berichtet von einem Unterrichtsprojekt, in welchem SchülerInnen eines beruflichen Gymnasiums in einen Dialog über das „Freisein“ treten. Was bedeutet Freiheit für junge Menschen am Gymnasium – und was den beteiligten Inhaftierten? Weitere Beiträge befassen sich mit der Gefängnisarchitektur von Wulf Rüskamp. Die grundlegende Kritik an der Sinnhaftigkeit von Gefängnissen wird seitens des Rechtsanwalts und ehemaligen Anstaltsleiters Thomas Galli beleuchtet. Die Annäherung an den Sinn von Strafe ist philosophisch durch Martin Hochhuth dargelegt. Vergessen ist aber auch die Frage nach den Opfern und Geschädigten nicht. Michael Kilchling des Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht schreibt dazu. Womit die Aufzählung des sehr dichten Bandes aber keineswegs abschließend wäre.

Warte jetzt, dass mein Kaffeewasser heiß wird

Der Satz steht auf einem riesigen Fotoplakat. Zwei Männer auf Stühlen sind darauf. Ich sehe sie nur von hinten. Zwei normale Männer auf zwei normalen Stühlen. Links und rechts davon an der Mauer hängen noch weitere Plakate. Mal sind zwei, mal drei Männer zu erkennen. Immer von hinten. Die meisten tragen Jogginghosen und haben sehr kurze Haare. Dazwischen Sätze von ihnen. „Warte jetzt, dass mein Kaffeewasser heiß wird.“ Oder: „Heute Geburtstagsbrief an meine Tochter geschrieben.“ Daneben: „Mache mich für den Hof fertig, hab Schicht.“

Die Fotos sind Teil der Kunstaktion Strafraum; sie hängen am Freiburger Gefängnis. Hier sitzen die Männer mit den langen Haftstrafen, die schweren Jungs. Die dicken Mauern verhindern normalerweise jeden Kontakt. Wer hier seine Strafe absitzt, ist für die Menschen draußen unsichtbar. Mit den Fotos wird deutlich: Hier leben Menschen. Menschen, die ihre Kinder lieben, Sport machen, ihre Zeit einteilen und ihre Strafe absitzen. Hinter den dicken Gefängnismauern leben Menschen, die wie alle ihre Würde haben. Gut, dass das jetzt auch von außen sichtbar ist.

Ute Niethammer, SWR Kirche

 

Die Bildaufnahmen

Britt Schilling gelingt es mit nüchternen Aufnahmen Einblicke in die Gefängniszellen zu gewähren, wie sie sonst selten zu finden sind. Stille Aufnahmen, wie beispielsweise von einem Teller mit zwei Würstchen, zwei Brötchen und einer Schüssel eines undefinierbaren Eintopfs, dazu das Plastikbesteck einerseits, und Aufnahmen die Leben ausstrahlen: Der rauchende Insasse, der einen Boden fegende Arbeiter, andererseits. Besonders berühren mich die Aufnahmen von Briefen. Schilling hatte an einem Gesprächskreis mit Gefangenen und dem evangelischen Anstaltspfarrer teilgenommen. Daraus entstand die Idee, jeden Tag exakt um 17.15 Uhr zu notieren, was den Beteiligten gerade beschäftigt – und die Fotografin würde ihrerseits ein Foto machen, egal wo sie gerade wäre. Ein ganzes Jahr lang lief dieses Projekt und nun kann man einige der Briefe lesen, der Notizen der Gefangenen, sowie Bilder sehen, welche Britt Schilling gemacht hat. Hier begegnen einem die Gefangenen als Menschen, mit all ihren Sorgen und in ihrer Alltäglichkeit.

Resümee

Das Buch kann nur einen kleinen Ausschnitt darstellen, aber es verhält sich durchaus kritisch zum Themenkomplex Strafvollzug und dem Sinn oder Unsinn von Strafe. Gerade weil die AutorInnen sich weitestgehend dem bürgerlichen Spektrum zuordnen lassen, besteht vielleicht die Chance, dass die Strafkritik auch weiter in die Gesellschaft hinein verbreitet wird. Daneben bieten die großformatigen Fotos jedoch jeder/jedem Interessierten einen anschaulichen Einblick hinter die Mauern eines Gefängnisses.

Thomas Meyer-Falk

Strafraum – Absitzen in Freiburg
Hrsg.: Dettmer-Finke, Hauser, Schilling
Herder-Verlag, Preis: 15 Euro
ISBN: 978-3-451-38822-4

 

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