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Resozialisierung: Der Junge muss ans Klavier

19. Juni 2019

Wo ein Piano ist, ist dieser junge Mann nicht weit: Mathieu Malinski, gespielt von Jules Benchetrit. Die Geschichte eines Wunderknaben: Im „Klavierspieler vom Gare du Nord“ wird die Resozialisierung mit den Mitteln der Musik geprobt. Um den Erfolg des jungen Mannes muss man sich keine Sorgen machen. Dieser junge Mann spielt Klavier, wo immer er eines findet. Er setzt sich in der Wartehalle des Gare du Nord ans öffentliche Piano und legt inmitten der vorübereilenden Zugreisenden selbstvergessen los.

Während eines Einbruchs greift er in der fremden Wohnung in die Tasten – und bekommt nicht einmal mit, wie die Polizei eintrifft. Und wenn am Pariser Konservatorium gerade ein Steinway-Flügel unbenutzt herumsteht, dann kann er auch nicht widerstehen, streicht erst ehrfurchtsvoll übers Instrument und ergibt sich dann seiner Leidenschaft. Kurzum: Es gilt in dem Musikdrama „Der Klavierspieler vom Gare du Nord“, Mathieu den Weg zum Piano freizumachen. Der Junge muss ans Klavier. Das ist das Ziel von Regisseur Ludovic Bernard. Jeder andere Handlungsstrang hat sich diesem Ziel unterzuordnen, ja dient eigentlich nur diesem einen. Der Weg wird Mathieu so schwer wie möglich gemacht. Das soll die Spannung steigern – was unter diesen Bedingungen nur bedingt gelingt.

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Die kriminelle Karriere scheint ihm gewiss

Am Konservatorium ist Mathieu (Jules Benchetrit) gelandet, weil er dort die Boden feudeln soll – Sozialstunden ableisten, nachdem er von der Polizei zum wiederholten Mal beim Einbrechen erwischt wurde. Eine kriminelle Karriere scheint ihm gewiss. Eigentlich. Doch hat er sich zu Hause in den Banlieues das Klavierspiel selbst beigebracht. Seine alleinerziehende Mutter hatte für Unterricht kein Geld, ist ihm aber wie beinahe alle hier aus tiefem Herzen wohlgesonnen. Am Konservatorium glaubt Direktor Pierre Geitner (Lambert Wilson) an Mathieu. Er hat ihn trickreich über das Gericht an sein Institut geholt. Geitner braucht das Riesentalent so dringend wie dieses ihn: Mathieu soll als Aushängeschild dienen. Die Zahl der Anmeldungen am Konservatorium geht beständig zurück, es braucht einen Werbecoup. Geitners beste Klavierlehrerin, genannt die Gräfin (Kristin Scott Thomas), soll Mathieu für den anstehenden internationalen Wettbewerb fit machen.

Man möchte Mathieu am Schlafittchen packen

Damit sind die Voraussetzungen gegeben, um Mathieu allen Gefährdungen zum Trotz zum Erfolg zu führen. Bis dahin läuft er mit düsterer Miene durch die Gegend und kämpft mit sich selbst und der Last seiner sozialen Herkunft. Man möchte ihn gelegentlich am Schlafittchen greifen und schütteln – wüsste man nicht, dass das sowieso schon geschieht. Mit harter Hand lehren ihn Direktor und Gräfin am Konservatorium: Disziplin ist die wichtigste Tugend, um gesellschaftlich Anschluss zu finden. Musik ist für Mathieu die Chance, um in die sogenannten besseren Kreise aufzusteigen. Ein höchst konservatives Gesellschaftsbild wird hier vermittelt, bei dem man nicht so recht weiß, ob man Mathieu wirklich Glück wünschen soll zwischen all diesen Herren mit weißem Hemd und schwarzer Fliege.

Das eigentliche Problem aber ist: Es gibt nichts, was in diesem Film überraschen würde – außer vielleicht, dass Mathieu ausgerechnet mit Rachmaninows 2. Klavierkonzert beim Wettbewerb antreten will. Am Ende beklatschen sogar die kriminellen Jungs aus den Pariser Vorstädten den einstigen Klavierspieler vom Gare du Nord. Als Kinozuschauer hält man sich bei dieser allzu übersichtlichen Resozialisierung lieber zurück.

Stefan Stosch | Hannoverische Allgemeine

 

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