Im Jahr 1957 hielt am Karfreitag der schweizer evangelische Theologe Karl Barth eine Predigt vor Gefangenen in der Strafanstalt Basel. Er betont dabei, dass Inhaftierte genauso Menschen sind. “Gekreuzigte Übeltäter sind wir alle”, sagt er zur damaligen Zeit zur Bibelstelle Lukas 23,33. Diese Botschaft hat Sprengkraft auch heute noch.
Karl Barth war ein Schweizer evangelisch-reformierter Theologe. Ab 1911 engagierte er sich als radikaldemokratischer Sozialist. Mit seinen Römerbriefkommentaren (1919/1922) begründete er die Dialektische Theologie. 1934 verfasste er maßgeblich die Barmer Theologische Erklärung, begründete die Bekennende Kirche mit und rief ab 1938 alle Christen zum auch bewaffneten Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf.
Nach 1945 setzte er sich stark für die Versöhnung mit den Deutschen, die Ökumene und eine umfassende Kirchenreform ein. 1947 verfasste er dazu das Darmstädter Wort mit. Ab 1950 bekämpfte er die deutsche Wiederbewaffnung. Ab 1957 rief er zum blockübergreifenden Widerstand gegen die atomaren Massenvernichtungswaffen auf. Im Kalten Krieg widersprach er kontinuierlich dem prinzipiellen Antikommunismus.
* 10. Mai 1886 in Basel; † 10. Dezember 1968
Predigt von Karl Barth am Karfreitag, 19. April 1957
Strafanstalt Basel zu Lukas 23,33
„… da hängen sie alle drei, Jesus und die Übeltäter, einer zur Rechten und einer zur Linken – alle in der gleichen öffentlichen Schande, in der gleichen stundenlangen Qual, im gleichen langsamen, unerbittlichen Sterben (S. 73). … Nun waren diese Beiden offenbar und unleugbar eben Übeltäter: böse Leute, Gottlose, Ungerechte. Und nun war er, selber als ein Übertreter, ein Übeltäter verurteilt, gerade mit ihnen gekreuzigt, waren sie mit ihm unter demselben Gericht (S. 78). … Das war die erste christliche Gemeinde – die erste sichere, unauflösliche, unzerstörbare christliche Gemeinde nämlich. Christliche Gemeinde ist überall da, wo eine Versammlung von Leuten ist, die Jesus nahe, die bei ihm sind – so, daß seine Verheißung, seine Zusage, sein Versprechen sie unmittelbar, direkt angeht … (S. 73)
Man bedenke: gerade für die Übeltäter starb der Mann, mit dem sie, gekreuzigt zu seiner Rechten und Linken, ihrem Sterben entgegengingen. Er starb nicht … für die Frommen, sondern für die Gottlosen, nicht für die Gerechten, sondern für die Ungerechten … (S. 78) Und nun sind wir alle, liebe Freunde, Gott sei Dank gar nicht gefragt, ob wir solche Menschen sein wollen. Wir sind es, wir alle: ihr hier in diesem Haus, das man die Strafanstalt nennt, ihr mit dem, was euch hierher geführt, und mit dem, was ihr hier erfahrt, in eurer besonderen Weise – wir Anderen draußen in unserer anderen, aber – glaubt es nur! – nicht weniger ernsthaften Weise. Solche Menschen, gekreuzigte Übeltäter, sind in Wahrheit wir alle. Und nun kommt es eigentlich nur auf Eines an: ob wir uns sagen lassen, daß wir das sind, um die solchen Menschen gegebene Verheißung zu hören … (S. 79).“
Karl Barth, Predigten 1954-1967, hrsg. v. Heinrich Stoeversandt (Karl Barth-Gesamtausgabe 12, Abt. I), Theologischer Verlag: Zürich, 3. Aufl. 2003, S. 72-81, hier zit. nach: Jens Söring, Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Barmherzigkeit und Strafvollzug, Echter-Verlag: Würzburg 2008, S. 5-6. Lizenziert: Theologischer Verlag Zürich.