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Kann wirklich Frieden sein, wenn der Weg dahin unfriedlich ist?

8. März 2022

Bruder Paulus Terwitte ist Guardian des Kapuzinerklosters Liebfrauen in Frankfurt am Main und Leiter des dortigen Franziskustreffs. In zahlreichen Kolumnen bezieht Bruder Paulus Stellung zu Fragen der Ethik in Gesellschaft und Wirtschaft. In Vorträgen im Raum der Wirtschaft, mit der Mitarbeit im Frankfurter Zukunftsrat und in Seminaren für Führungskräfte gibt er die Botschaft des christlichen Glaubens weiter und verbindet sie mit den Fragen unserer Zeit. Und gibt überraschende Antworten. Der manchen auch aus dem Fernsehen bekannte Kapuzinerpater schreibt: „27 Mitbrüder leben in der Ukraine – jeder einzelne liegt mir Kraft meines Ordenslebens besonders am Herzen. Wie furchtbar, sie in Angst zu wissen. Wie ohnmächtig fühle ich mich, da ich nichts für sie tun kann. Ich habe den Impuls: Hinfahren. Mit ihnen sein.“

Wer hätte denn nicht in diesen Tagen, der dort Freunde, Kollegen und Familienangehörige hat. Wie schrecklich, um junge Männer zu wissen, die von Wladimir Putin geschickt werden, die Ukraine zu überfallen. Um junge Männer zu wissen, die es für sinnvoll und vernünftig halten, was sie tun. Jedenfalls so sinnvoll und vernünftig, dass sie sich nicht Befehlen widersetzen. Und wäre ich in ihrer Situation: Würde ich mich widersetzen? Wer widersetzt sich in seinem Unternehmen, wenn er/sie tun soll, was „die da oben“ wollen. Und wer widersetzt sich, wenn der finanzielle Erfolg oder der Erfolg des eigenen Ansehens steigt, falls man tut, was nicht den eigenen Werten entspricht. Meine Brüder, auch deren Eltern, Geschwister und Freunde in der Ukraine werden von gleichaltrigen Russischen Männern und Frauen beschossen, bebombt, ihres Friedens beraubt. Schreien wir: Nie wieder Krieg! Und handeln wir: Immer Widerstand gegen alle, die Unethisches von mir verlangen. Meine Brüder, ich habe Angst um Euch. Ich kann nur dies eine tun: Nie einfach mitmarschieren.

Unterbrechung, etwas unerwartetes tun

In der Feldrede Jesus im Evangelium Lukas scheint Jesus zu glauben, dass man Gewalt nicht mit Gewalt löst, dass der Teufelskreis des bloßen Reagierens durchbrochen werden muss. Mir leuchten die Gedanken sehr ein – dennoch frage ich mich, welch eine Relevanz sie jetzt haben, wenn wir sie sozusagen nicht an der friedlichen Sonntagnachmittags Kaffeetafel unter Gleichgesinnten hören, sondern in der bitter herausfordernden Realität, wie wir sie derzeit erleben? Welch ein Weg, welch eine Handlung auf Dauer größeres Leid verhindert, weiß niemand. Vielleicht gilt auch hier, dass nicht jede Frage, die uns die Gegenwart stellt, mit biblischen Worten, gesprochen in ganz anderen Zeiten, beantwortet werden kann.

Also gilt das Wort Jesu „Reagiert nicht auf das Böse“ oder das von den beiden Wangen nur für die harmlosen Kleinkriege des Alltags? Was mir an diesen Worten einleuchtet, ist die Idee der Unterbrechung, etwas Unerwartetes tun: Aussteigen aus dem „Wenn – dann“ Denken. Insbesondere dann, wenns brenzlig ist, wenn alles stockt, wenn der Kopf nicht klar wird. Sollten das am Ende alles nur Handlungsempfehlungen für Kinder sein, für vergleichsweise harmlose Herausforderungen? Ich wage das kaum zu sagen, aber ich frage mich: wären wir heute auch hier, Jesus hätte sich mit Gewalt gewehrt bei Seiner Gefangennahme? Oder darf man das nicht fragen?

Macht wird von unten gestützt

Ich hab mich das immer gefragt, schon als Kind, als mir klar wurde, ich kann den Wehrdienst nur verweigern. Und so lange ich denken kann, frage ich mich gleichzeitig: ist das naiv so zu denken? Nimmt das nicht ernst, wozu Menschen offensichtlich in der Lage sind? Ist es am Ende vielleicht sogar die Weigerung, sich die eigenen Hände schmutzig zu machen? Kann das wirklicher Frieden sein, wenn der Weg dahin unfriedlich ist? Macht wird immer von unten gestützt. Es sind die Untergebenen, die den Mächtigen Macht verleihen, überall, wo es menschliche Gruppierungen gibt, auch in der Kirche. Ich glaube an das Evangelium, das dieses Denken durchbricht, indem es eine Bewegung beginnt, die alle Menschen als Gotteskinder sieht, eine Bewegung, die nur einem das Sagen zuspricht: und zwar dem, den wir als Gott anrufen. Je mehr sich der Glaube von uns Menschen klärt und läutert, und wir diesen Gott als Gott des Friedens und der Liebe anrufen, der jede Gewalt verabscheut, der keinen Unterschied macht zwischen Frau und Mann, Jude und Grieche, Sklave und Freie, in dessen Schöpfungsplan es einfach nicht hinein passt, dass bei Verhandlungsgesprächen nur Männer am Tisch sitzen ebenso wenig übrigens an den Entscheidungstischen in den Kirchen, um so mehr ändert sich unser Leben.

Bernd Mönkebüscher | Foto: Markus Dewanger

 

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