Für die einen ist es die Höchststrafe, für andere eine Durchgangsstation, für dritte ein Arbeitsplatz – das Gefängnis. Jörg Schmidt sitzt als Gewalttäter ein. Er ist leise, fast unscheinbar. Der Typ, der sich an Hauswänden entlang schleicht, immer darauf bedacht, nicht aufzufallen. Schüchtern. So zumindest wirkt Jörg Schmidt (Name geändert) heute. Nach fast acht Jahren Gefängnis. Die ersten dreieinhalb Jahre hat er in Berlin abgesessen. Verurteilt wegen versuchten Totschlags.
“Ich hab damals erfahren, dass mein Onkel sich an meiner Cousine vergangen hat – da hab ich zugeschlagen”, sagt Schmidt mit einer so leisen, monotonen Stimme, dass es schwer fällt, seinen Worten zu folgen. In einem dunkelblauen Trainingsanzug sitzt der 35-Jährige im Besucherzimmer der JVA Lübeck und gibt Auskunft über das, was ihn an diesen Ort brachte, darüber, wie er seine Zeit abgesessen hat und über das, was er für seine Zukunft plant. 2000 hatte der gebürtige Berliner seine Strafe verbüßt. Er blieb noch ein paar Jahre in der Bundeshauptstadt, hatte dort Frau und Kind – doch dann zerbrach die Beziehung. Die Frau hatte mitbekommen, dass Schmidt sein Geld nicht allein auf legale Weise verdiente. Heute hat er zu seiner Familie keinen Kontakt mehr.
Einen Monat nach der Tat gestellt
Vor viereinhalb Jahren dann das zweite Mal “Schwedische Gardinen”. Diesmal hatte Schmidt sich ein Messer geschnappt, war in ein Büro gegangen, hatte einen Steuerberater bedroht – und 8000 Euro erbeutet. Er entkam sogar. Doch einen Monat später stellte sich der gelernte Steinsetzer der Polizei. “Ich hab mir gedacht, dass ich so wohl günstiger wegkomme”, flüstert er fast.
Das erste halbe Jahr hinter Gittern sei hart gewesen. “Ich bin ja an sich ein freiheitsliebender Mensch”, sagt Schmidt. Nur kurz schaut er sein Gegenüber dazu aus tief umrandeten Augen an. Die Hände hat er im Schoß gefaltet, der glatt rasierte Schädel ist meist leicht nach unten geneigt. Eine Aura von Demut liegt um diesen Mann. Schwer vorstellbar, dass er zu solch Gewalttaten in der Lage sein soll. Warum also? “Na ja, arbeitslos, zu viel Zeit zum Nachdenken – und dann hatte man natürlich auch einen gewissen Lebensstandard …”
Und warum waren gerade die ersten Monate im Gefängnis so hart? “Na, man muss halt erst mal alles abchecken. In der ersten Zeit kann es sein, dass man verheizt wird.” Verheizt? “Na ja, man muss klar Stellung beziehen. Sonst nehmen die anderem einem schnell Geräte, Zigaretten oder son Zeug ab. Oder man muss Sachen machen, die man nicht will.” Und wie habe er Stellung bezogen? Mit Gewalt? “Nee. Ich bin heute ruhiger. Ich hab die eher einen Kopf kleiner gequatscht.”
Viel gelesen und Sprachen gelernt
Viereinhalb Jahre hinter Gittern – was tut man die ganze Zeit? Er habe viel gelesen, berichtet Schmidt, der gelernte Steinsetzer. “Nietzsche, Jung, Goethes Faust…” Und Sprachen habe er gelernt. Latein und Norwegisch. Latein? “Ja, diese Sprache fasziniert mich. Die hat so einen reinen, sauberen Klang. Schade, dass sie nicht mehr gesprochen wird.” Das Norwegisch wird Jörg Schmidt in rund einem Monat brauchen. Wenn er wieder draußen ist. Dann nämlich will er noch einmal ganz von vorne anfangen. In Bergen, Norwegen. Eine Wohnung hat er da schon über einen Freund organisiert, auch sonst sei so gut wie alles klar. Denn eines hat Schmidt im Gefängnis neben Latein und Norwegisch gelernt: “Ich sollte den Jungen langsam mal ablegen.”
Kathrin Emse | Mit freundlicher Genehmigung: shz.de