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Jenes leise Wort unserer Seele in Freiheit entfalten lassen

25. Juni 2023

„Jeden Moment ruft eine Stimme außerhalb dieser Welt unsere Seele aufzuwachen und aufzustehen“, so beginnt ein Gedicht des persischen Mystikers Rumi im 13. Jahrhundert. Ja, schläft denn die Seele die ganze Zeit? Hat sie sich zurückgezogen und niedergelegt, so, als wäre sie gar nicht da? Was ist im Leben seelenlos? Und wie spüre ich das?

Wenn ich beim Üben mit dem Cello ständig denke, ich müsste doch dieses Stück viel besser spielen können und mich über jeden Ton, der danebengeht, ärgere und im ganzen Körper verspannt bin, mich nicht wirklich sein lassen kann in jeden Ton, dann klingt das Cello nicht und ich auch nicht – und die Seele scheint weit weg, die im Cello und die in mir. Ohne Seele ist auch eine Kommunikation, der Authentizität und Wertschätzung fehlen, wo das Gesagte ohne Resonanz verhallt. Mir geht es so, wenn Liturgie in der Kirche einfach nur aus dem Buch abgelesen wird, allein damit sie gültig ist, und nicht in Haltung und Zuwendung gelebt wird. Seelenlos fühlen sich auch so manche Auseinandersetzungen an, wenn sie verbissen geführt werden und es nur ums Recht-Haben geht, wo vor lauter Vorhaltungen ein echtes Hinhören nicht möglich ist.

Angst vor Kontrollverlust

Im Aufbruch unserer Kirche auf dem synodalen Weg geschehen gerade solche Auseinandersetzungen: die Angst vor Kontrollverlust angesichts vieler Veränderungen lässt manche, auch Bischöfe, fest werden in Verurteilungen und einem formalistischen Machtgebrauch, der sogar mit dem den Bischöfen anvertrauten Geld der Kirchensteuerzahlenden geführt wird. Das ist seelenlos und gottlos: wenn ich meine, alles stets selbst unter Kontrolle haben zu müssen, ist kein Raum mehr für das Wirken Gottes. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass gerade etwas seelenlos ist, ist die Sehnsucht nach mehr, die sich dann einstellt. Rumi sagt, es gäbe eine Stimme außerhalb dieser Welt, die die Seele wachrufen kann, eine geheimnisvolle Stimme also, die außer mir selbst ist und doch ganz tief in mir klingen kann. Das kann mit diesen Eigenschaften nur die Stimme Gottes sein.

Stimme des Herzens

Im biblischen Evangelium wird berichtet, wie sie wirkt: da ist ein Wort, zunächst in der Tiefe der Dunkelheit geflüstert, um dann im Licht und laut ausgesprochen zu werden. Dieses Wort ist die Botschaft des Lebens Jesu und seine Hingabe bis in den Tod: Du, Mensch, bist bedingungslos geliebt und angenommen, bist kostbar und gehalten von Gott, fürchte dich also nicht, lass diese Liebe in dir und durch dich sich entfalten und Frucht bringen. Das Evangelium sagt, dass diese Stimme in uns, es ist die Stimme des Herzens, eine Bewegung in Gang bringt, die ermutigt, weitet und befreit, wirkend aus dem Herzraum hinaus in die Wirklichkeit der Welt. Deshalb, sagt Jesus, sollen alle, die das Evangelium verkünden, keine Angst haben vor den Menschen. Sie sollen anstiftend sein, Menschen ermutigend, damit jenes leise Wort in der Seele diese aufwachen und sich in Freiheit entfalten lässt.

Sehnsucht nach Gerechtigkeit

Welche Kraft eine solche Bewegung entwickeln kann, so dass die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Freiheit aus dem Dunkel ins Licht kommt und laut von den Dächern gerufen wird, erleben wir in unserer Zeit im Iran. Jina Mahsa Aminis mutiges Einschreiten gegen die Unterdrückung hat dort viele Frauen bewegt, sie sind auf den Straßen und Plätzen und rufen „Jin, Jiyan, Azadî!“, das ist kurdisch und bedeutet „Frauen, Leben, Freiheit“. Doch überall auf der Welt und hier unter uns sind so viele Menschen überdrüssig eines gesellschaftlichen und auch kirchlichen Machtgehabes und fühlen sich seelisch und spirituell nicht aufgehoben. Vielleicht müssen wir immer neu unten anfangen, da, wo erst nur dunkel und zaghaft leise Stimmen klingen – um sie dann einander hören zu lassen und sich aufzumachen. In der letzten Strophe seines Gedichtes fragt Rumi: „Nun meine kostbare Seele, wie lange noch wirst du dich verschwenden auf dieser wandernden Reise? Kannst du nicht die Stimme hören, kannst du nicht deine schwingenden Flügel nutzen und den Ruf beantworten?“

Christoph Kunz

 

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