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Jede Figur schaut Dich in heutiger Gegenwart an

11. Februar 2024

Den Petersdom hatte ich gerade verlassen. Ergriffen war ich nicht. Irgendwo in einer Ecke feiert eine Gruppe einen Gottesdienst und der Küster hatte wohl den falschen Knopf gedrückt, so, dass der ganze Dom beschallt wurde. Die Touristen, die von jedem Gegenstand sobald er glänzt, Fotos machen, scheinen sich nicht gestört zu fühlen. An einer Säule gelehnt ißt ein Mann seine Brote, die Beine von sich gestreckt. Was erzählt der Petersdom in Rom an einem ganz normalen Vormittag den Menschen, die ihn betreten?

Der Ort zeugt von vergangenen Geschichten. Nach über 5000 km zu Fuß vom Nordkap bis Rom war ich irgendwie enttäuscht. Früher als gedacht verließ ich das architektonische Zentrum des christlich-katholischen Glaubens. Ich trat an die frische Luft und schlenderte über den Vorplatz zum Ausgang. Die Skulptur, von der Kathedrale aus rechts stehend, hatte ich zunächst nur als dunkles Etwas wahrgenommen und lenkte meine Schritte dorthin. Ein Boot, Flüchtlinge, panische Gesichter und Unheilvolles, das mitschwang. Jede Figur schaute ich mir an. Das war keine Geschichte aus der Vergangenheit. Das ist Gegenwart.


Dicht gedrängte Menschen

Angels Unaware“ heißt diese Skulptur, die Timothy Schmalz gefertigt hat. Sie zeigt eine Gruppe von Migranten und Flüchtlingen aus unterschiedlichen Ländern, Religionen und Zeiten. Männer, Frauen und Kinder stehen dichtgedrängt mit wenigen Habseligkeiten auf einem schwimmenden Untersatz. Aus der Mitte der kompakten Menschenmenge erheben sich Engelsflügel, die die Gegenwart des Heiligen unter den Flüchtenden andeuten. Schulter an Schulter, stehen sie zusammen wie auf einer Nussschale. Aus der Mitte dieser Menge ragen Engelsflügel heraus und in der Beschreibung liest man, diese Flügel sollen auf die Präsenz des Heiligen unter ihnen hinweisen. Inspiriert wurde der Künstler durch den Satz des Hebräerbriefes: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!” (Hebräer 13,2). Tief ergriffen sah ich mir diese Skulptur an. Hier fand ich sie, die Ergriffenheit, die ich im Dom vermisste.

Vergesst die Gastfreundschaft nicht

Papst Franziskus hat am Welttag der Migranten und Flüchtlinge auf dem Petersplatz eine Skulptur enthüllt. Das lebensgroße Kunstwerk aus Bronze und Ton zeigt auch einen der Männer, der sich mit weisen Schläfenlocken als jüdischen Flüchtling dargestellt wird. Eine Schwangere hält die Hand unter ihren Bauch. Beim Angelus-Gebet sagte der Papst Franziskus dazu: „Ich wollte dieses Kunstwerk hier auf dem Petersplatz, damit es uns alle an das Evangeliums-Gebot der Gastfreundschaft erinnert.“ Die Skulptur in dunklem Grau steht im Oval des Petersplatzes auf der linken Seite, nahe den cremefarbenen Kolonnaden. Der Vatikan teilte vorerst nichts darüber mit, wie lange das Kunstwerk dort bleiben wird. Seinen festen Ort soll „Angels Unawares“ in der Papstbasilika Sankt Paul vor den Mauern erhalten, heißt es auf der Webseite des Künstlers.

Hans-Gerd Paus | Zurzeit von Rom nach Sizilien pilgernd

Der Künstler

Timothy Schmalz fertigt seit über 25 Jahren großformatige Bronzewerke, einige davon stehen heute in Kirchen in Rom und im Vatikan. Zu einer gewissen Bekanntheit brachte es seine Skulptur des „obdachlosen Jesus“, die einen schlafenden, in eine Decke gehüllten Mann auf einer Bank zeigt. Nach eigenen Angaben möchte Schmalz Kunstwerke schaffen, die nicht nur emotional berühren, sondern es den Betrachtenden auch ermöglichen, sich selbst als Teil der Skulptur zu empfinden. „Ich beschreibe meine Skulpturen immer als visuelle Gebete“, sagte der Künstler in einer Selbstdarstellung. „Wenn ich eine dreidimensionale Skulptur in Bronze schaffe, bin ich mir bewusst, dass sie mich überdauern wird. Ich weiß, dass ich zwischen zwei Dingen stehe, die der Welt länger erhalten bleiben werden als ich: dem Christentum und der Bronze als Werkstoff.“ 

 

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