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In der „Regenrinne“ des Wiener Stephandomes

30. Juni 2023

In einer Regenrinne zu sein, bedeutet ausgeliefert und dem Wasserlauf ausgesetzt zu sein. Regenrinnen sind wasserabweisend, allerdings sammeln sie das wichtige Gut. Im Rahmen der Alpenländischen Tagung von GefängnisseelsorgerInnen aus Österreich, Bayern und der Schweiz, gewährt der Diakon und Zerimoniar des Kardinals Schönborn, Wolfgang Moser, am Wiener Stephansdom einen ungewöhnlichen Ein- und Ausblick.

Schon am Haupteingang der Westfassade gibt es Ungewöhnliches zu entdecken. Rechts oben unter der Uhr das Phallussymbol sowie rechts synonym ein Empfänger Symbol. Zwei symbolhafte Darstellungen geben Kirchenexperten seit jeher Rätsel auf. Was bedeuten ein Penis und eine Vulva an der Fassade des Stephansdoms? Auf den Stelen links und rechts vom Haupttor kann man die Geschlechtsmerkmale von Mann und Frau erkennen. „Wir wissen nicht genau, warum wir hier Penis und Vulva finden“, sagte der Zeremoniar des Wiener Kardinals Christoph Schönborn. Sexualität galt damals als böse Macht. Vielleicht als Abschreckung oder Spiegel? Eine Theorie ist, dass es sich um Spolien aus der Römerzeit handelt, die ein Hinweis darauf sind, dass an dieser Stelle ein altes Fruchtbarkeitsheiligtum existiert hat. „Vor diesen sogenannten heidnischen Dingen hat man sich im Christentum gefürchtet. Aber indem man sie außen an der Kirche anbringt, bricht man ihre Macht“, so. Diakon Wolfgang Moser.„Die Genitalien könnten aber auch einfach ein Zeichen dafür sein, dass die Sexualität große Macht in unserem Leben hat“, führt er aus.

Die Gruppe von GefängnisseelsorgerInnen vor dem Stephansdom in Wien.

Durch Touristen hindurch

Die Gruppe der GefängnisseelsorgerInnen geht durch all die Touristen hindurch zum Shop des Domes. Dort findet sich eine abgedruckte weiße Hand am Eingangsrundbogen. Moser fordert die TeilnehmerInnen auf, ihre Hand auf diesen Abdruck zu legen und sich zu bekreuzigen. „Der Dom ist ein Heiliger Ort und es gibt Rituale, ihn zu betreten“, sagt der Guide im weißem Hemd. Dem folgen einige, aber nicht alle der GefängnisseelsorgerInnen. Zwei der Gefängnisseelsorgerin lassen sich ein Pilgerstempel geben.

Am Grab des Kaisers

Weiter geht es zum Grab Kaisers Friedrich III. Im Jahr 2013 haben Forscher einen Blick durch ein kleines Loch im Grabmal geworfen. Die Auswertung der Bilder und Proben zeigt: Es ist das letzte unangetastete Kaisergrab Europas – inklusive Krone und feinsten Tuches. Warum der Zerimonienmeister einen Teilnehmer auf der Grabbrüstung gewährte am Grab umher zu gehen, ist offen. Einer der Gruppe nimmt freiwillig die Chance wahr, klettert nach oben und schaut sich ringsherum die Grab-Platte an. „Das ist sonst keiner Gruppe erlaubt, ich will Ihnen hier einen besonderen Einblick ermöglichen“, sagt der Diakon.

Gräber in den Katakomben

Der Stephansdom wurde im Jahre 1137 begründet, im 15. Jahrhundert wurde er zur Bischofskirche. Im Laufe der Jahrhunderte verlor man den Überblick, wo welche Bischöfe in kleinen Schachtgräbern unter der Kirche begraben lagen. Doch nach dem verheerenden Brand 1945 musste der Boden im Dom erneuert werden. Im Zuge dieser Arbeiten kam eine Reihe von Gräbern zum Vorschein, die unter dem Boden verborgen war. Der Friedhof war immer um die Kirche herum angelegt. Man wollte dem Heiligtum besonders nahe sein. So finden die GefängnisseelsorgerInnen in den Katakomben viele menschliche Überreste. Im Krieg, so erzählt der Diakon, hätte ihm eine Frau erzählt, dass sie bei Bombenalarm hier unten waren und buchstäblich unter Knochen ausharren mussten. „Sie hat allerdings keine Angst gehabt, die Toten sollen auf sie aufgepasst haben“, sagt Moser gerührt. In Gedenken an verstorbene Menschen betet die Gruppe ein Vater unser an diesem gedenkvollen Ort.

„Regenrinne“ des Domes

Jetzt geht es hinauf in die Höhe des Stephansdomes. Insgesamt 150 Stufen sind es bis zur so genannten Regenrinne. Es gibt zwar ein Fahrstuhl, aber der lässt sich nur mit einem Schlüssel bedienen. Oben angekommen bietet sich ein Blick auf die Pferdekutschen unten auf dem Platz und in die Weite. Tauben gäbe es am Dom nicht, erklärt Moser. „Es wurden Turmfalken bewusst angesiedelt. Wir haben keine Tauben“, sagt er. Wie zur Demonstration gerufen, setzt sich eine Taube auf die Spitze des Ziertürmchens. Schnell verjagt der Diakon mit einem lauten Rufen den Vogel. Der Turmfalke ernährt sich überwiegend von Mäusen und Insekten. Besonders markant gilt beim Turmfalken der sogenannte „Rüttelflug“, bei dem er mit den Flügeln schlagend in der Luft stehen bleibt und seine Beute anvisiert.

Point Fokussierung

Im liturgischen Dombereich wieder angekommen, zeigt der Diakon mit seinem Laser-Pointer die Stelle, an der sich die GefängnisseelsorgerInnen über dem Hauptaltar befunden haben. Noch einigen Erklärungen zur hinteren Kanzel  geht es, zum Ärger einiger Touristen, hinaus am Tor zum abgegrenzten Bereich. „Solch einen Aus- und Einblick an Heiliger Stätte bekommt man sonst nicht.“, sagt eine Teilnehmerin aus der Schweiz. Touristen meinen, sie könnten durchgehen. „This is a special group that is left around“, sagt souverän der erfahrene Domführer. Die Touristen verstehen allerdings sehr gut deutsch…

Michael King

 

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