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Im Gottesdienst gibt es kein „gefangen“ oder „frei“

16. August 2023

Am 7. Mai haben sechs Jugendliche von draußen den Gottesdienst in der Justizvollzugsanstalt Herford migestaltet. Darunter sind vier Leute aus der externen POPSHOP Redaktion von der Georg-Müller-Schule in Bielefeld. Die POPSHOP ist die Gefangenenzeitung im Jugendvollzug. Wir haben Elias und den Gefangenen Normen gebeten, ihre Eindrücke der gottesdienstlichen Feier zu schildern. Elias war zum ersten Mal in einer JVA. Der Gefangene Peter K. ist seit 6 Monaten inhaftiert.

Elias

Ich bin ein ganz normaler 17-jähriger Jugendlicher. Ich besuche aktuell die Q 1, also die 12. Klasse in meiner Schullaufbahn. In einem Jahr werde ich, hoffentlich, mein Abitur in der Tasche haben und dann will ich studieren gehen. Dieser Gottesdienst am 7. Mai im Knast war besonders. Besonders schön. […] Unser Ziel war von Anfang an, an einem Sonntag den Gottesdienst selbst zu gestalten. Im Gottesdienst gibt es kein „gefangen“ oder „frei“, weil Gott uns alle genau gleich lieb hat. Unser Besuch war an einen Sonntag. Es war ein sonniger Morgen. Wir haben uns mit einer kleinen Verspätung kurz vor 8.30 Uhr vor der JVA getroffen, sind dann vom Gefängnisseelsorger abgeholt worden und zur Kirche gegangen. Was für ein schöner Ort. Die Kerzen brannten und ich habe mich sehr auf den Gottesdienst gefreut. Aber ich war auch aufgeregt. Wird alles klappen, werden wir die Lieder hinbekommen und können wir die Geschichte vom Zachäus gut erzählen? Vor diesem Sonntag haben wir uns drei Mal getroffen, um alles gut vorzubereiten, Lieder auszusuchen und ein Thema zu finden, um das es gehen sollte.

Cappuccino-Trinken

Mein aller erster Eindruck der JVA war, dass ich überwältigt war von den großen Mauern und der „Festung“, in der ihr hier lebt. Aber je länger ich durch die Gänge hin zur Anstaltskirche Kirche ging, desto weniger dachte ich daran, hier ein geschlossen zu sein. Und spätestens, als ich dann in Eurer Kirche stand wurde mir klar: Hier geht es zuerst um Gott und nicht um die Mauern um mich herum. Wir saßen alle in Kreis und der Gefängnisseelsorger, Stefan Thünemann, hat den Gottesdienst geleitet. Wir haben schöne Lieder gesungen und zusammen gebetet, obwohl die Besucher die Texte gar nicht kannten. […] Ich erinnere mich gerne an das gemeinsame Cappuccino-Trinken zurück und an die interessanten Gespräche. Im Gottesdienst geht es darum, einander zu begegnen, zu reden und Zeit miteinander zu verbringen. Das habe ich bei Euch gelernt.

Schon einmal gelogen?

Dann sind die Inhaftierten des Gottesdienstes in die Kirche gekommen. Ich fand es sehr schön, dass sich einige direkt in unsere Nähe gesetzt haben. So konnten wir beim Gesang ihre Stimmen hören. Als Leitthema haben wir die Geschichte von Zachäus ausgesucht. Auf einem Liedblatt haben wir diese Geschichte mit Bildern abgedruckt. Was denkst Du, wenn ich Dir von einem Verräter erzähle? Die erste Reaktion ist klar: Mit dem will ich nichts zu tun haben! Da geht es Dir genauso wie mir. Aber auch ich mache manche Dinge, wo andere sagen könnten: Mit dem will ich keinen Kontakt haben. Im Gottesdienst hat einer der Inhaftierten gesagt, einem Lügner kann er nicht mehr glauben. Hast Du schon einmal gelogen? Ich leider schon. […] „Was hättest Du sonst um diese Zeit am Sonntag gemacht?“ Ganz ehrlich: Ich bin froh, hier zu sein. Hier in der JVA und Menschen kennenzulernen, die ich sonst nie getroffen hätte.

Peter K.

Ich bin seit 6 Monaten im Jugendvollzug inhaftiert. Nach der Verurteilung habe ich mich selbstständig bei der JVA gestellt. Zurzeit befinde ich mich auf der Sozialtherapeutsichen Abteilung (kurz: SoThA). Eine Sozialtherapeutische Abteilung ist eine Sondereinrichtung innerhalb einer Justizvollzugsanstalt. Sie grenzt sich von der Hauptanstalt als eigenständige und weitgehend unabhängige Einheit mit eigenen Regeln ab. Übergeordnetes Ziel ist die Förderung einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung mittels der integrativen Sozialtherapie. So heißt es zumindest in den Statuten.

Gar nicht so verschieden

Der Gottesdienst war sehr schön. Es war mal eine Abwechslung zum normalen Gottesdienst. Auch die Themen waren interessant: Es ging um Verzeihen und welchen Blick man auf andere Menschen hat. Es war sehr schön zu hören, wie die Schüler darüber denken und dass sie gar nicht so verschiedene Ansichten haben wie wir. Ich habe den Gottesdienst gut in Erinnerung behalten und bin froh dabei gewesen zu sein. Auch dass die Jugendlichen von draußen sich für uns Gefangene interessieren und auf uns einlassen sowie versuchen, uns einen anderen Weg zu zeigen, finde ich gut.

Es ging um mich als Person

Leider finde ich es schade, dass sich manche Gefangene über manche Sachen lustig gemacht haben. Aber das können die SchülerInnen nicht ändern. Nach dem Gottesdienst hatte ich und die anderen nochmal die Möglichkeit, mit den SchülerInnen zu sprechen und uns auszutauschen. Die Gespräche waren gut, da ich als Person gesehen wurde und nicht nur die Straftat. Ich hatte das Gefühl, dass es um mich als Person ging. Das fühlte sich gut an. Ich finde, solche Veranstaltungen können öfters stattfinden.  Eine andere Idee wäre, dass die Gefangenen mit den SchülerInnen zusammen bei einem Gottesdienst mitwirken. Im Großen und Ganzen war es eine schöne Erfahrung.

Quelle: POPSHOP, 2|2023, JVA Herford

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